EINFÜHRUNG: DIE GESAMTKOMPOSITION DER JOHANNESAPOKALYPSE
Tafel 1
Die Apokalypse, die Offenbarung des Johannes, beginnt mit der Übergabe der Offenbarung:
„Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm gegeben hat, damit er seinen Knechten zeigt, was bald geschehen muss; und er hat es durch seinen Engel, den er sandte, seinem Knecht Johannes gezeigt.“
Offenb. 1,1
Im Bild des Buchmalers wird dem Seher Johannes symbolisch das, was er erst in Visionen schauen wird, aus dem Himmel heraus in einem Buch übergeben.
Die Offenbarung, die Christus von Gott empfangen hat, übergibt er durch einen der sieben Engel, die vor dem Angesicht Gottes stehen, an den Seher Johannes. Der Engel ist der Mittler der Visionen an Johannes und ist auch der, der sie deutet. Das Weltgeschehen und die endzeitliche Weltgeschichte laufen in den Augen des Sehers Johannes nach einem Plan Gottes ab, den Gott seit Ewigkeit her beschlossen hat, und sie steuern bald ihrem Ende entgegen (vgl. Jürgen Roloff, a.a.O., S.28).
Der Fortgang der bald herannahenden Endzeit liegt begründet im ewigen Ratschluss Gottes.
Die Apokalypse wurde vermutlich auf der Insel Patmos in Kleinasien geschrieben von einem Mann, der sich „Johannes“ nennt, und aus der römischen Provinz Asia stammt.
Möglicherweise war er ein Wanderprediger und Prophet, der ursprünglich aus Palästina kam.
Sie datiert etwa aus dem Jahr 94 n. Chr., als der römische Kaiser Domitian (81-96 n. Chr.) herrschte, oder sie wurde am Ende seiner Regierungszeit geschrieben. Sie wurde in griechischer Sprache verfasst, aber die sprachlichen Besonderheiten weisen auf einen judenchristlichen Verfasser hin.
In einer krisenhaften Zeit gegen Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. erfahren die Christen, dass für sie Gott zwar nur in Verborgenheit existiert, aber dass er ihnen doch unverbrüchlich nahe ist. Er ist Alpha und Omega, er umschließt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Welt, er ist Herr der Schöpfung, er leitet die Geschichte und bewahrt durch alle Katastrophen, durch alles Grauen hindurch, die Seinen. So ist die Johannesapokalypse Hoffungsliteratur.4) Sie ist Prophezeiung und Vision, Deutung von Gegenwart und Vision der endzeitlichen Zukunft.
Tafel 2
Zu Beginn der Apokalypse erscheint Christus dem Seher Johannes in einer geheimnisvollen Vision inmitten der sieben Leuchter (Offenb. 1,9-20), es sind die sieben christlichen Gemeinden der römischen Provinz Asia, sie erhellen die Welt, sie lassen ihr Licht in der Welt leuchten. In ihnen ist Christus anwesend und auch seine Macht.
Am Tag des Herrn, am Sonntag, wird der Seher Johannes vom Geist Gottes ergriffen und er hört die Stimme Gottes, die klingt wie Musik, und sie trägt ihm auf, aufzuschreiben, was er sieht und sehen wird. Der Seher Johannes erzählt:
„Als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern einen, der wie ein Menschensohn aussah; er war bekleidet mit einem Gewand, das bis auf die Füße reichte, und um die Brust trug er einen Gürtel aus Gold. Sein Haupt und seine Haare waren weiß wie Wolle, leuchtend weiß wie Schnee, und seine Augen wie Feuerflammen, seine Beine glänzten wie Gold, das im Schmelzofen glüht, und seine Stimme war wie das Rauschen von Wassermassen. In seiner Rechten hielt er sieben Sterne, und aus seinem Mund kam ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Gesicht leuchtete wie die machtvoll strahlende Sonne.“
Offenb. 1,12-16
Er ist der auferstandene Christus, der in der Herrlichkeit Gottes thront, er hat die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt, er ist der Weltenrichter. Das Schwert, das aus seinem Mund kommt, bedeutet, dass er die Welt mit seinem Wort richten wird. Er hält die sieben Sterne als Symbol der Weltherrschaft in den Händen, sie bedeuten zugleich die Engel der sieben Gemeinden, die diese im Auftrag Gottes beschützen sollen. Christus schreitet einher unter dem hellen Licht der sieben Gemeinden und richtet seine Botschaft in sieben Schreiben an sie: Er warnt sie und schenkt ihnen zugleich Hoffnung in Bezug auf die Endzeit.
„Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt“, heißt es im Prolog des Johannesevangeliums, „er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden.“ (Joh 1, 9-12). Darin liegt auch der Ausgangspunkt der Apokalypse : Die Welt, die ihn nicht erkannt hat (...) und die Kinder Gottes in dieser Welt.
Die Apokalypse, in Briefform verfasst, beginnt mit den Sendschreiben an die sieben Gemeinden in Kleinasien, es sind apokalyptische Sendschreiben an die Christengemeinden von Ephesus und Smyrna,von Pergamon und Thyatira, von Sardes und Philadelphia, und von Laodizea. Alle Gemeinden sind Sitz römischer Behörden. Die sieben Gemeinden sind Repräsentanten der christlichen Gemeinden in Kleinasien, und diese stehen in Kleinasien unter gewaltigem Druck des römischen Imperiums, das die Christengemeinden in ihrer Existenz bedroht.
Den sieben Gemeinden entsprechen die sieben Planeten (Mond, Mars, Merkur, Jupiter, Venus, Saturn, Sonne - die den sieben Wochentagen entsprechen), und sie werden gegenübergestellt der unterdrückenden Weltmacht mit den sieben Köpfen, dem siebenhügeligen Rom, dem dämonischen Drachen aus dem Meer mit den sieben Köpfen. Die Gemeinden werden zur Entschiedenheit aufgerufen, sich für oder gegen Christus zu entscheiden angesichts der herannahenden Endzeit.5)
Vielleicht liegt der Apokalypse eine Tradition zugrunde, die Gerichtsvisionen enthält. Es liegt in ihr ein bitterer Zug, erbarmungslos schreitet die Endzeitgeschichte voran wie ein Uhrwerk, doch wird sie überformt und durchbrochen von der Hoffnungsgeschichte. Es ist ein Schauspiel, geschrieben in verschiedenen Szenen, ein Drama in mehreren Akten, ein mythisches Gedicht, das beim Gottesdienst in der Urkirche verlesen werden sollte. Auf der „Weltenbühne“ stehen Gott und das „Lamm“, der auferstandene und erhöhte Christus auf der einen Seite, auf der anderen Seite der „Drache“, dazwischen aber die Menschen,die sich entscheiden müssen.
Der Ablauf des Geschehens der eigentlichen Apokalypse ist ähnlich dem Aufbau des Dramas des antiken Theaters:
a) Die Bühne entsteht: der in Allmacht thronende Gott und das Lamm - das Buch mit den sieben Siegeln, das den Ablauf des Geschehens enthält - die apokalyptischen Reiter: die leidvollen Erfahrungen der Menschheit;
b) Die Entfaltung: das Leid der Menschen und die vorherrschende Ungerechtigkeit - die Trauer der Schöpfungswelt darüber
- der drohende Untergang am Welthorizont
- die Macht des Urdrachens und weiterer Drachen
- die Macht des „Imperiums“, das die Welt beherrscht;
c) Der Wendepunkt: Der Untergang der Schöpfungswelt und des römischen Imperiums;
d) Die Lösung: Die kommende neue Welt Gottes
Prophetische und apokalyptische Schriften des Alten Testaments (Jesaja, Daniel, Ezechiel, Sacharja, Joel) , das Markus- und das Mattäusevangelium, vielleicht auch die kulturelle Welt des Johannesevangeliums, Mythologien und Zeitgeschichte gehen in die Bilder- und Vorstellungswelt der Apokalypse ein. Der Verfasser erzählt vorwärtsschreitend durch die Geschichte bis zur Verwandlung der Welt im himmlischen Jerusalem das Geschehen aus verschiedenen Sichten und in verschiedenen Visionen, wobei auch Akte, die gleichzeitig geschehen, vom Verfasser hintereinander aufgereiht oder ineinander verschoben werden wie in einem Theaterstück. Es sind Traumbilder, Tagträume; aus verschiedenen Perspektiven leuchten Menschheitsträume, Angstvisionen und Hoffnungsträume auf. Die Apokalypse beinhaltet eine symbolische Sprache, eine mythische Erzählweise, und ihre Bilderwelt ist vieldeutig. Es ist eine Symphonie von Bildern 6) mit Metaphern, Chiffren, Projektionen und Symbolen. Es ist eine in Wundern endende Schreckensreise 7) des Menschen durch die Weltenzeit. Die Apokalypse ist nicht stringent logisch, sondern assoziierend, verknüpfend geschrieben.
Die Darstellung übersteigert das Geschehen apokalyptisch „maßlos“ und „unvorstellbar“, sie ist von großer Wucht, sie interpretiert die Weltgeschichte als einen Kampf von Mächten hinter den sichtbaren Erscheinungen, wobei die guten Mächte siegen. Unerwartet wird der Weltenrichter am Ende kommen.
Inhaltlich geht es um die die Menschen unterdrückende und zerstörende „Mächte“ und um die Herstellung der Gerechtigkeit. In Bildern des Exodus, in Geburtswehen, in einer „Passion“ steuert die alte Erde auf die Neue Stadt Gottes zu, die herabsteigen wird vom Himmel. Die„apokalyptische Frau“, Gottes Volk, das in Wehen liegt, bringt letztendlich als Nachkommen die Menschen des himmlischen Jerusalems hervor, sie bringt die Menschen hervor, die von Gott verwandelt werden am Ende der Geschichte.
Von oben aber schenkt Gott selbst die Neue Stadt, in der die Kinder Gottes wohnen werden.
Die herabsteigende Stadt, das „Neue Jerusalem“, ist einerseits das verwandelte Gottesvolk, die „Braut“, die sich mit Christus, dem „Lamm“ vermählt, andererseits aber die Wohnstätte Gottes, die Gottesherrschaft. Alldem aber geht das „Gericht“ voran, die Gerechtigkeit wird hergestellt. Schon in kurzer Zeit wird Christus als der Weltenrichter erscheinen. Der Exodus aus der alten Erde in die Neue Welt geschieht unter „Plagen“, der „Geburtsvorgang“ unter Wehen.
Die abgründige Bosheit, das Schuldigwerden, das in Versuchung-Fallen der Menschheit personifiziert und manifestiert sich in einem dämonischen „Urdrachen“ und im „Tod“, die dahinterstehen, sowie in der „Bedrohung“ und im „Leid“. Der „Urdrache“ erschafft die sich durch die Geschichte ziehende strukturelle Gewalt, den „Drachen aus dem Meer“. Vordergründig ist das römische Imperium gemeint, hintergründig aber die sich durch die ganze Geschichte ziehende globale Gewalt, die Unrecht schafft und zerstörerisch wirkt.
Auf diesem „Drachen aus dem Meer“ reitet vordergründig die „Hure Babylon“, die Weltstadt Rom, hintergründig aber geht es um unterdrückende, versklavende Machtzentren als globale Phänomene in der Menschheitsgeschichte, seien sie monozentrisch oder polyzentrisch gelagert in wechselnder Variation.
Der Begleiter des „Drachen aus dem Meer“ aber ist das „Tier“, der „Drache aus der Erde“. Er ist vordergründig der vergottende Kaiserkult in Kleinasien, hintergründig aber die stets die unterdrückende Machtstruktur begleitende religiös verbrämte Ideologie. Immer wieder steigt sie auf aus der Erde und dominiert die Menschen, als würde die Erde sie gebären, als würde sie aus Staub geboren. Auf diesem vorstellungsmäßigen Hintergrund spielt sich in der Apokalypse der Kampf zwischen guten und dämonischen Mächten ab.
Die Prophezeiung, die Analyse der Verhältnisse erfolgt in apokalyptischen Bildern. Es sind Visionen, die teilweise der erlebten Wirklichkeit, teilweise der Phantasie entspringen. Es sind aufsteigende Bilder aus der Tiefe, Archetypen menschlicher Ängste und Hoffnungen, die sich vermischen mit realen Schrecknissen und Glückserlebnissen, mit Wunschvorstellungen antropomorpher Art. Es sind Sehnsüchte, die mit der realen Geschichte sich überschneiden. Es sind Deutungen in einem unentwirrbaren Geflecht von Wünschen, Schrecknissen und Realitäten.
Entscheidend aber ist die Zielrichtung der Apokalypse: Gott als Inbegriff des Guten und Gerechten wird letztlich den Sieg davontragen, die Mächte des Lichtes sind stärker als die Mächte der Finsternis. Dies ist die „Gute Nachricht“, das Evangelium, dass durch Leid und Tod hindurch den Glaubenden die Auferstehung, die Neue Erde erwartet.
Gott, der Herr der Schöpfung und der Geschichte, und das „Lamm“, der gekreuzigte und auferstandene Christus, der am Ende wiederkehren wird, sind stärker als die Imperatoren jeglicher Couleur, die den „Drachen“ reiten. Dies ist die entscheidende Aussage der Apokalypse.
Aller Schrecken und alle Gräuel, die über die Erde kommen, sind eingeschlossen zwischen die Visionen vom Thronsaal Gottes, wo die himmlische Liturgie gefeiert wird oder dem Erscheinen des „Lammes“, Christus. Die Kinder Gottes sind inmitten aller Schrecken in Gott geborgen und werden von ihm gerettet. Die Christen werden zu endzeitlichen Mose- und Elia-Gestalten, Mose und Elia leben in ihnen weiter. Sie lassen ihr Licht leuchten in der Welt. Sie ziehen wie Mose voll Vertrauen zum Gelobten Land und vermehren wie Elia das Brot der Armen. Die unschuldig Ermordeten, die Martyrer, alle, die Unrecht erleiden, - schreien nach Gerechtigkeit, sie wird „bald“ kommen. Alle aber, die nicht an Christus glauben, keine Kinder des Lichtes sind - Johannes nennt sie die „Bewohner der Erde“ - müssen sich in Angst verbergen, wenn die Posaunen erschallen, die Schalen des „Zorns“ ausgegossen werden. Die Apokalypse erzeugt eine Phantasie von Bildern, die den inneren Schrecken, die innere Verzweiflung der Menschen in Bilder fassen, die fern von Gott und Kinder des Dunkels sind.
Die dämonische Gewalt aber wendet sich schließlich gegen sich selbst, bestraft sich selbst, löst sich in Luft auf wie ein Geisterreich, wie ein böser Traum. Die Kinder Gottes aber bleiben in all der Not geborgen. Am Ende verbrennt alles Dämonische und selbst der Tod im „nie erlöschenden Feuer“, es löst sich für immer auf. Die Engel aber, die eingreifen, sind die sieben Geister Gottes, sie sind die mächtigsten Engel Gottes. Sie bewerkstelligen die Selbstauflösung des Dämonischen, das im Wind verfliegt wie Asche. Die Schreckensbilder, die Fratzen der „Nacht“, lösen sich auf im Lichtglanz der „Sonne“.
Eine neue Schöpfung entsteht, bunt, farbig, in Bewegung, wie Wasser ständig sich verändernd, im hellen Lichtglanz Gottes - aller Glanz der Welt in unvergänglichen Edelstein gefaßt. Das Leben der Welt ist nur ein vergängliches Intermezzo, der Mensch aber ist geschaffen zur Ehre Gottes, er wird in der Neuen Stadt Gottes wohnen und Gott wird mitten unter den Menschen wohnen.
Das Universum - es wurde von Gott aus sich selbst heraus geboren, und es gebiert immer weiter in unendlicher Folge neue Räume. Alles Leben in diesem Universum gebiert ständig neues Leben. Ob am Ende das Universum wieder in seinen Anfangspunkt zusammenstürzt oder in endloser Kälte erstarrt, ist für den Menschen nicht wichtig. Für ihn persönlich stürzt bei seinem Tod die Welt und das Universum zusammen, es stürzt für ihn der Himmel ein. So kommt für alle Menschen in ihrem Leben die Geschichte mit Gott an ein Ende.
Wird es für ihn zur Katastrophe oder zum Glücksfall?
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