Die Johannes-Apokalypse
Michael Brenner

IV. DIE NEUE SCHÖPFUNG
 
   - DAS NEUE JERUSALEM ALS „STADT“ UND  PARADIESESGARTEN
       
 
„Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, auch das Meer ist nicht mehr. Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen; sie war bereit wie ein Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat; da hörte ich eine laute Stimme von Thron her rufen: Seht die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen. Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu. Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. Wer durstig ist, den werde ich umsonst aus der Quelle trinken lassen, aus der das Wasser des Lebens strömt.
Und es kam einer von den sieben Engeln, die die sieben Schalen mit den sieben letzten Plagen getragen hatten. Er sagte zu mir: Komm, ich will dir die Braut zeigen, die Frau des Lammes. Da entrückte er mich in der Verzückung auf einen großen, hohen Berg und zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem, wie sie von Gott her aus dem Himmel herabkam, erfüllt von der Herrlichkeit Gottes. Sie glänzte wie ein kostbarer Edelstein, wie ein kristallklarer Jaspis. Die Stadt hat eine große und hohe Mauer mit zwölf Toren und zwölf Engeln darauf.
Und er zeigte mir einen Strom, das Wasser des Lebens, klar wie Kristall; er geht vom Throne Gottes und des Lammes aus. Zwischen der Straße der Stadt und dem Strom, hüben und drüben, stehen Bäume des Lebens. Zwölfmal tragen sie Früchte, jeden Monat einmal; und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker. Der Thron Gottes und des Lammes wird in der Stadt stehen. Es wird keine Nacht mehr geben, und sie brauchen weder das Licht einer Lampe noch das Licht der Sonne. Denn der Herr, ihr Gott, wird über ihnen leuchten, und sie werden herrschen in alle Ewigkeit.“

Offenb. 21, 1-6.9-12.; 22,1-3.5
 
Die Auferstandenen werden mit Christus in der Stadt Gottes wohnen, die herabsteigt vom Himmel.
 
In mehrdeutigen Bildern, Metaphern und Symbolen beschreibt der Verfasser der Apokalypse die Herabkunft des“ Neuen Jerusalem“, einer „Gegenstadt“ zu „Babylon“. Die Stadt „Babylon, die „Hure Babylon“, ist untergegangen, das „himmlische Jerusalem“ aber steigt auf die Erde herab und wird zur „Braut“ des „Lammes“. Einer der Engel, der die Zornesschalen trug, führt den Seher Johannes in einer Vision auf einen hohen Berg und lässt ihn wie Mose in das Neue Land hineinsehen und zeigt ihm die Neue Stadt, die vom Himmel herabkommt auf die neue Erde, denn Gott hat  bereits einen neuen Himmel und eine neue Erde geschaffen. Einer der Engel der „Passion“ verwandelt sich in einen Engel der „Auferstehung“. Ist die ganze Apokalypse eine Passionsgeschichte in mehreren Akten, wo durch Schmerz und Leid und Tod hindurch die Neue Stadt geboren wird ?
 

Tafel 39:

Im Bild des Buchmalers zieht der Engel mit ausgestreckter Hand den Seher Johannes auf den Berg, um ihm die vom Himmel herabsteigende Stadt Gottes zu zeigen. Aber der Buchmaler stellt nicht die Stadt selbst dar, sondern nur die Mauern der Stadt mit zwölf niederen Türmen, deren rote Dächer wie Sahnehäubchen wirken. Die Mauern bilden eine Mandorla, in deren Mitte das „Lamm Gottes“ steht, das eher die Gestalt eines Widders hat. Es steht wuchtig da und hat seine Füße auf die versiegelte Buchrolle gesetzt, es hat von ihr Besitz ergriffen; nur Christus, das  „ Lamm“, kann die Siegel lösen und die Buchrolle entschlüsseln. Das Entsiegeln der Buchrolle führt die Kinder des Lichts zur Neuen Schöpfung. Der wiederkehrende Christus ist das Zentrum der Neuen Schöpfung, doch ist die Stadt ein Geheimnis, und nur das „ Lamm Gottes“ kann das Geheimnis der Stadt aufdecken. Noch sind die Tore der Stadt geschlossen, die Türme der Stadt zeigen keine Tore, denn das „Lamm Gottes“ ist für die Menschen das Tor zum neuen Himmel und zur neuen Erde, nur der wiederkehrende Christus kann den Menschen  den Zugang verschaffen zur Stadt Gottes. Wie ein Ring umschließen die Mauern der Stadt das „Lamm Gottes“, - das Bild eines Siegelrings, -   noch ist versiegelt die neue Erde, noch ist die Stadt ein Geheimnis der Zukunft, sie ist erst am Kommen; von ferne kann man sie kommen sehen, herabsteigen vom Himmel. Wenn sie da ist, wird sie sich über die ganze Erde erstrecken.
 
Die Neue Stadt ist die Antipode zu „Babylon“, das untergegangen ist. Die „apokalyptische Frau“, das Volk Gottes, das in Wehen liegt, bringt die Menschen des himmlischen Jerusalems „hervor“, sie selbst verwandelt sich in das „himmlische Jerusalem“  - von oben wird es von Gott geschenkt. Sie ist geschmückt wie eine Braut zur Hochzeit mit dem „Lamm“, dem wiederkehrenden Christus. Das „ himmlische Jerusalem“ steigt herab auf die bereits neu geschaffene Erde, es ist die Wohnstätte Gottes, in ihm erscheint die Herrlichkeit Gottes und es umfasst die ganze Erde. Das Volk Gottes, das unter messianischen Wehen an dem Endpunkt seiner Geschichte angekommen ist, wird von Gott verwandelt, und vereinigt sich mit der vom Himmel herabsteigenden Stadt; es zieht ein in das Gelobte Land.30)
 
Er, der auf dem Thron sitzt, in der Mitte der Stadt, spricht: „Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende“. Alle Buchstaben des griechischen Alphabets sind zwischen dem ersten und dem letzten Buchstaben eingeschlossen, alle Worte sind daraus gebildet. Die ganze Schöpfung von Anbeginn ist damit gemeint, denn durch das“ Wort“, den Logos, ist alles entstanden. Der Logos ist die menschgewordene Weisheit Gottes, die von Anfang der Schöpfung schon beim Vater war. Christus, der Logos, war schon von Beginn an beim Vatergott. Gott ist es, der die Erde schuf (Alpha) und sie vollendet (Omega). Gott ist es selbst, der die Geschichte der Welt und der Geschichte schreibt, den Sinn sie hineinlegt, er ist das Alpha und das Omega, und am Ende werden die Rätsel gelöst, der Lebensdurst der Menschen wird gestillt mit dem Wasser des Lebens, das von Gott kommt. Die“ Buchrolle“, die versiegelte Geschichte, enthält die Frohe Botschaft, aber auch das Gericht - nur Christus kann ihren Inhalt entschlüsseln. Gott ist das Alpha und das Omega, Anfang und Ende des Alphabets und somit alles Geschriebenen, aller Schriften, aller Weissagungen, aller gesprochenen Worte; mit seinem Wort hat er Himmel und Erde geschaffen, Beginn und Ende der Schöpfung ist er. Er versinnbildet die Reihenfolge der Buchstaben - geschriebene, buchstabierte Geschichte, die an ihr Ende kommt wie das gesprochene Alphabet.   
 
Im Bild der neuen Erde umgibt eine große und hohe Mauer mit zwölf Toren und zwölf Engeln darauf die Neue Stadt, die vom Himmel herabgestiegen ist. Der Paradiesesgarten ist in das Zentrum der Stadt, wo Gott wohnt, integriert. Die Sternbilder, die vom Himmel gefallen sind, schmücken die Grundpfeiler, die Grundfesten der Stadt als Edelsteine, die Lichter der Apostel, auf denen die Stadtmauer gründet, verbinden sich mit dem Glanz der Sterne - die Sterne selbst bilden die Grundfesten der Mauer, weil man sie am Himmel nicht mehr braucht. Sonne und Mond verbinden sich mit Christus und sind das neue Licht in Gottes Welt, er selbst ist die Sonne der Stadt. Die Grundsteine  der Stadtmauer sind die zwölf Sterne Israels, Abbild der zwölf Stämme Israels 31), Abbild der zwölf Apostel. Sie sind das zur Mauer gewordene alt-und neutestamentliche wandernde Volk Gottes, das an sein Ziel gekommen ist. Die Grundsteine, die Grundfesten der Stadtmauer sind mit wunderbaren, farbigen Edelsteinen geschmückt, die in Verbindung stehen mit den Tierkreiszeichen der Sterne. Die mit zwölf Edelsteinen besetzten Mauern sind die Einfassung, in der Mitte aber sitzt die Stadt als“ Diamant“, ein kostbarer Jaspis. Der Sternenhimmel ist auf die neue Erde herabgestiegen, um sie zu schmücken.
 
Die Neue Stadt ist viel größer als die sie umschließenden Mauern, sie sprengt die Mauern der Stadt und weist über sie hinaus. Gottes Neue Stadt mit den offenen Toren lädt alle Völker und Religionen ein, in die Stadt einzuziehen zur Wallfahrt der Völker: „Völker wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz. Zahllose Kamele bedecken dein Land, Dromedare aus Midian und Efa. Alle kommen von Saba, bringen Weihrauch und Gold“, heißt es beim Propheten Jesaja (Jes 6o). Sie kommen wie die Magier, von denen das Mattäusevangelium erzählt, dass sie ihre Geschenke trugen zur Krippe in Bethlehem, - jetzt aber kommen sie als Könige zu Gottes Herrlichkeit, zu seinem Lichtglanz. Die Stadtmauer ist eine lebendige Mauer, aus den Menschen des wandernden Gottesvolkes, der Kirche gebaut. Die Stadt aber ist das Leben selbst, sie ist ein lebendiges Wesen.
Das Leben, das von Gott kommt, sprengt die Mauern der Stadt, greift über sie hinaus. Das „Leben“ ist viel größer als die „Kirche“, es weitet sich aus auf alle Völker und Religionen. Im Innersten des Lebens aber sitzt Gott, er ist der Ursprung des „Lebens“.
 
Die zwölf Türme der Stadt sind keine Wachtürme mehr, sie sind in schmückendes Beiwerk der Mauer verwandelt, es ist eine lebendige Mauer aus lebendigen Steinen gebaut. Die Türme sind zum Wahrzeichen geworden, zum Orientierungspunkt, zu Leuchttürmen, die den Völkern den Weg weisen durch die Stürme der Zeit. Auf den Mauern der Stadt stehen Engel, - keine Soldaten, sie sind die Wächter der Stadt. Engel, Lichtwesen bewachen die Stadt und schützen sie, kein Dämon nähert sich mehr den Toren der Stadt, das Licht hat die Finsternis verdrängt. Sie erwarten die Jungfrauen mit den brennenden Lampen, - die wachsam gebliebenen Knechte, -die Könige, die den hellen Stern suchen, - die Seliggepriesenen der Bergpredigt,  - sie alle geleiten sie in die Stadt.
Die zwölf Tore sind offen, sie sind kostbare Perlen, die der Kaufmann im Gleichnis des Mattäusevangeliums (Mt13, 45-46) sucht, - er sucht nach dem geöffneten Tor des Himmels - jedes Tor ist eine kostbare Perle, - es ist ein Zugang für dich persönlich bestimmt, einer ist dein Zugang, von welcher Seite du auch die Stadt betreten willst und von wie weither du auch kommen magst von allen Enden der Erde.
Eine bunte Welt zieht ein durch die offenen Tore der Stadt, von überall her und durch alle zwölf Tore, - durchsichtig und klar ist die Stadt, Arglist und Hinterhalt sind ihr fremd, die Lust des Raubtieres ist verloren gegangen, das Kind spielt am Schlupfloch der Natter, der Löwe sitzt neben dem Kalb und frisst Gras, Lamm und Wolf weiden nebeneinander. Die ungeheure Fresslust, wo einer den anderen frisst, ist verschwunden; die Bewohner der Stadt leben nicht voneinander, sie leben von  Gott und den Früchten, die er schenkt. „Homo homini lupus“, es gilt nicht mehr. Alle Gewalttätigkeit und Unterdrückung ist entschwunden.
 
Stadt und sie umkränzende Mauer sind durchsichtig wie Glas, die Mauer steht auf Edelsteinen, die glitzern wie die Sterne am Himmel, man hat die Sterne vom Himmel auf die Erde geholt. Das Licht der Sterne ist der Grund der Stadtmauer, Sonne und Mond sind schmückendes Beiwerk für die Herrlichkeit Gottes, die die Stadt erhellt, -das Firmament bildet die Straßen der Stadt, es schimmert wie Gold und ist klar wie Glas, und die Bewohner sind die Heiligen Gottes.
Die Menschen, die Zeugnis geben für Wahrheit und Gerechtigkeit, bevölkern die Stadt, sie sind die Söhne und Töchter des Vaters, seine Kinder, und auch sie sind „durchsichtig“ geworden wie die Stadt, keine Arglist und keine Täuschung wohnt mehr in ihnen. In der Stadt gibt es keine Traurigkeit, keine Angst, keine Aggression, keinen Schmerz,- nur die Sehnsucht, die Liebe bleibt. Die Perlen der Stadt sind auch die geweinten Tränen der Menschen, die Unrecht erlitten haben, und diese Tränen haben sich in Perlen verwandelt, sie sind die offenen Tore der Stadt.
 
Die Stadt ist quadratisch angelegt, ein Quader, ein Riesenwürfel des „Glückspiels“ - endgültig sind die Würfel gefallen, „aureae jactantur“ sagten die Römer, wenn eine Sache entschieden war. Der letzte Würfel ist gefallen, das „Spiel“ Gott - Mensch - Teufel ist zu Ende.“ Glück“ für die Guten, sie haben gewonnen, „Pech“ für die Schlechten, sie haben verloren; erlöst sind die Guten, gebunden die Schlechten, sie verbrennen wie Spreu; das „Pech“ der „Pechmarie“  im Märchen wird über sie ausgegossen und bleibt an ihnen haften. „Goldene Stadt“ -  und „Feuersee“ stehen einander gegenüber, die Stadt - ein Würfel aus Gold und Edelstein - ein „Glückswürfel“ - und glücklich, wer gewonnen hat und zu dessen Gunsten am Ende der Würfel gefallen ist ... ein Spiel der himmlischen und dämonischen Mächte um die Seele des Menschen - ein faustisches Spiel.
Doch ist es nicht Zufall, es ist Gnade, die das Mühen des Menschen um Sinnfindung und Gottsuche begleitet. Der Mensch, der auf Seiten Gottes steht, findet am Ende sein Glück, Gott lässt es ihn finden. Selbst, wenn er alles verloren hat, was er sich an Reichtümern im Leben erworben hat, so wird er doch am Ende bei Gott glücklich sein, ein „Hans im Glück“.
 
Die Neue Stadt ist eine Wunschvorstellung, die prolongiert wird aus der Mühsal des Lebens, der Freude am Schönen, der Sehnsucht nach Ruhe, Frieden und Glück - dem Wunsch nach Harmonie mit Gott. Die Gier soll zu Ende sein, ein Übermaß an Reichtum, Gold und Edelsteinen soll uns umgeben, kein Hunger und kein Durst soll mehr herrschen, das „Raubtier“ soll seine Fresslust verlieren und der „Krieg“ der Geschöpfe sich in ewigen Frieden verwandeln. Lasst uns drei Hütten bauen, heißt es in der Verklärungsgeschichte vom Berg Tabor im Mattäusevangelium, für Christus, Mose und Elia eine, damit die Menschen dort in der „ jetzigen Endzeit“ in Frieden wohnen können, und nicht auf die neue Welt Gottes zu warten brauchen. Gott hat seine Hütte in Bethlehem bereits unter uns gestellt - am Ende wird er in der Neuen Stadt unter uns wohnen. Die Menschen suchen die Neue Stadt, die Neue Erde als Inbegriff ihrer Sehnsucht und Phantasie, sie suchen die „ewige Heimat“, sie wollen am Ende „nach-Hause-kommen“, sie wünschen sich überbordenden Reichtum, ihr Schicksal soll vergoldet werden, sie wollen offene Tore, Empfangen werden wie der verlorene Sohn vom barmherzigen Vater, ein Fest ohne Ende soll es sein.
Es sollen die Stummen reden, die Lahmen gehen, die Tauben hören, keine kleinen Tode  des Abschiednehmens mehr sein, sondern das Reiseziel endgültig gefunden werden. Es soll ein Hochzeits-Mahl sein mit einer Feier ohne Sorgen, Lachen ohne Trauer, ein Leben, bei dem  der Tod nicht mehr mit am Tisch sitzt.
 
Unablässig leuchtet das Licht in der Neuen Stadt und fließt das Wasser des Lebens, unaufhörlich ist der Glanz der Ewigkeit. Nichts ist mehr verborgen, alles erstrahlt im hellen Lichte Gottes, es gibt keine geheimen Gedanken, keine versteckten Wünsche mehr. Alle Gebrechen und Nöte sind wunderbar geheilt, alle Sehnsucht gestillt, alle Tränen getrocknet, alles Leid verwandelt in einer bunten Welt voller Glanz. Alle Tore sind offen, weil alle Bedrohung  gewichen ist, die Freiheit geht spazieren durch die Tore der Stadt und trifft ihre Freundinnen. Es ist eine Stadt, in der die Zeit verwandelt ist, die Zukunft ist zur Gegenwart geworden.
 
 
 

Tafel 40:

Die Neue Stadt, das Neue Jerusalem wird einerseits als wunderschöne, kostbare Stadt dargestellt, andererseits aber auch im letzten Kapitel der Apokalypse in einem varianten Bild als Paradiesesgarten, der in die Stadt integriert ist.
 
Im Bild des Buchmalers schwebt der Seher Johannes über dem grünen Land der Hoffnung, auf dem die Bäume des Lebens wachsen, sie tragen ständig Früchte, und ihre Blätter heilen die Menschen von all ihrem Leid und von ihren Tränen, von Krankheit und Tod. Der „Fluch“ Gottes, das Arbeiten im Schweiße seines Angesichtes, das Gebären unter Schmerzen, das Sterbenmüssen nimmt ein Ende. Die überlangen Finger der rechten Hand streckt der Engel dem Seher entgegen, der seine Hände bittend nach vorne ausgestreckt hält. Der Kopf des Engels ist umrahmt vom Schein des Lichtglanzes Gottes in den Farben des Regenbogens, wobei die smaragdgrüne Farbe korreliert mit dem Grün der Neuen Erde. Der Seher trägt das Kleid in den Farben des Thrones Gottes, er trägt das Kleid Gottes, das Kleid des Himmels.
Von dem, der auf dem Thron sitzt im Goldgrund des Himmels, - es ist der Thron Gottvaters und des wiederkehrenden Christus, - strömt das Wasser des Lebens in breitem Fluß unablässig herab auf die neue grünende Erde und bewässert sie. Wie die Morgenröte leuchtet hinter ihm der Himmel, er ist die aufgehende Sonne.
Hinter dem Seher stehen die Bäume des Lebens, voll mit Früchten, die den Bewohnern der Neuen Erde ewiges Leben schenken, jeden Monat tragen sie Früchte.
 
Es ist der Traum des Menschen, zu essen vom Baum des Lebens und zu verlieren die Angst vor dem eigenen Tod. Deshalb steigt seine Sehnsucht hinauf zu den „ewigen“ Sternen, die am Himmel stehen und als ewige Lichter scheinen. Der Mensch hat seine Geborgenheit verloren und sehnt sich zurück in das längst vergangene Paradies. Er sucht den Ort, wo sein ewiger Lebensdurst gestillt wird von der Quelle, die hervorbricht unter Gottes Thron und den Garten bewässert, wo die Bäume des Lebens immerwährend Früchte tragen, die ewiges Leben schenken. Wie Adam und Eva wollen die Menschen mit Gott im Abendwind spazierengehen. Keine Schlange soll sie mehr verführen mit Hinterlist - Arglist und Misstrauen sollen verschwinden, auch Tränen und Not.
Von Angesicht zu Angesicht werden sie Gott schauen, den niemand je gesehen hat. Er ist kein verfremdetes Spiegelwesen mehr, sondern er ist herausgetreten aus dem Spiegel, sein Thron steht im Licht der Morgenröte, er ist selbst das aufgehende Licht der Sonne, und er lässt die Menschen sich lagern auf dem Grün der Neuen Erde wie die Menschen der Brotvermehrung. Der Herr ist mein Hirte, heißt es im Psalm, nichts wird mir fehlen, er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser.
 
Das Lukasevangelium erzählt im Gleichnis, wie der barmherzige Vater den verlorenen Sohn wieder als Erben aufnimmt, obwohl er seinen Erbanspruch im Lebensrausch schon verspielt hat. Er schenkt ihm sein Erbe umsonst, er hat keinen Rechtsanspruch mehr, zu wohnen im Hause des Vaters. Die Kinder Gottes werden am Ende das Himmelreich erben - es wird ihnen umsonst geschenkt.  Der Frau am Jakobsbrunnen verheißt Jesus im Johannesevangelium lebendiges Wasser, das ihren Durst für immer stillt. Er verheißt es ihr, weil sie am „Verdursten“ war im „Leben“ wie Hagar, die Magd Abrahams in der Wüste.
Der Mensch hat Angst vor der „Sintflut“ des Lebens, Angst, unterzugehen in den Wirnissen seiner persönlichen Geschichte, kein Land mehr zu sehen und zu verdursten mitten auf dem Meer, umgeben von den Mächten des Chaos. Dieses Wasser, das von Gott kommt, ist nicht das Unheilswasser der Sintflut, das ständig den Menschen bedroht in der Zeit seines Lebens, sondern es ist das Wasser des Lebens, das in jedem, der davon trinkt, zur sprudelnden Quelle wird.
 
 
Wenn die Wüste austrocknet und das Wasser der kleinen Oase „verschwindet“, begreifen dies die Tiere nicht. Sie suchen das Wasser irgendwo in der Wüste, - es war doch gerade noch da - wie kann es verschwinden? Aber auch die Menschen begreifen es nicht, wenn ihr „Lebenswasser“ plötzlich zu Ende geht, und sie suchen nach dem „Wasser des Lebens“, aber sie können es erst finden, wenn das „Wasser von oben“ kommt, ihnen von oben geschenkt wird, ansonsten verdürsten sie in der „Wüste“.
Urplötzlich und gewaltig wird die Neue Welt Gottes auf die Erde kommen, wie der Regen urplötzlich kommt über die ausgetrocknete Wüste und sie über alle Maßen überschwemmt mit Wasser, auf dass sie blühe und sich verwandle in einen Garten.
 
Der Schluss des Apokalypse mündet in einen Gottesdienst, wo die urchristliche Gemeinde den auferstanden Christus bittet: „marana tha“, komm, Herr! Die Christen bitten den auferstanden Christus, er möge beim Gottesdienst in ihrer Mitte erscheinen , und er möge bald kommen als Weltenrichter am Ende der Tage (Offenb. 22, 20) und die Erde verwandeln.32)
Sie werden ermutigt, in Treue zu Christus zu stehen, dann werden sie Anteil haben am „Baum des Lebens“, und sie werden vom „Wasser des Lebens“ trinken.
 
     
 
     Sehnsucht:     
     
     „Es war, als hätt der Himmel
      Die Erde still geküsst,
      Dass sie im Blütenschimmer
      Von ihm nun träumen müsst.
       
      Die Luft ging durch die Felder,
      Die Ähren wogten sacht,     
      Es rauschten leis die Wälder,
      So sternklar war die Nacht.
 
      Und meine Seele spannte
      Weit ihre Flügel aus,
      Flog durch die stillen Lande,
      Als flöge sie nach Haus."


     (Joseph von Eichendorff:“Mondnacht“)
 

 

 

 

 

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