Die Johannes-Apokalypse
Michael Brenner

I. DIE SIEBEN SIEGEL

- DIE RÄTSEL DER MENSCHLICHEN GESCHICHTE

 

I. 1. Der Thronsaal Gottes

Danach sah ich: Eine Tür war geöffnet am Himmel; und die Stimme, die vorher zu mir gesprochen hatte und die wie eine Posaune klang, sagte: Komm herauf, und ich werde dir zeigen, was geschehen muss. Sogleich wurde ich vom Geist ergriffen. Und ich sah: Ein Thron stand im Himmel; auf dem Thron saß einer, der wie Jaspis und Karneol aussah. Und über den Thron wölbte sich ein Regenbogen, der wie ein Smaragd aussah.
Und rings um den Thron standen vierundzwanzig Throne, und auf den Thronen saßen vierundzwanzig Älteste in weißen Gewändern und mit goldenen Kränzen auf dem Haupt. Von dem Thron gingen Blitze, Stimmen und Donner aus. Und sieben lodernde Fackeln brannten vor dem Thron; das sind die sieben Geister Gottes. Und vor dem Thron war etwas wie ein gläsernes Meer, gleich Kristall. Und in der Mitte rings um den Thron, waren vier Lebewesen voller Augen, vorn und hinten. Das erste Lebewesen glich einem Löwen, das zweite einem Stier, das dritte sah aus wie ein Mensch, das vierte glich einem fliegenden Adler. Und jedes der vier Lebewesen hatte sechs Flügel, aussen und innen voller Augen. Sie ruhen nicht, bei Tag und Nacht, und rufen: Heilig, heilig, heilig ist der Herr, der Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung; er war, und er ist, und er kommt.
Offenb. 4, 1-8

Mit dem vierten Kapitel beginnt die eigentliche Apokalypse. Der Seher Johannes sieht eine Tür am Himmel geöffnet und wird in den Thronsaal Gottes entrückt, in die Mitte des Himmels, dem Zentrum und Ausgangspunkt des Geschehens, der  fortan sich abspielenden Akte des dramaturgisch gestalteten Schauspiels.
Hier thront der Herr der Schöpfung und der ganzen Geschichte, dessen Augen Schöpfung und Geschichte überblicken 8), der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in sich vereint. Er ist der Inbegriff von allem strahlenden Glanz, er ist der Ewige, der über allem dahinfließenden Geschehen thront, dessen Augen nichts verborgen ist, von dem, was verborgen scheint. Er ist der, der alle Rätsel löst. Siebenfach ist seine Erkenntnis, erhellt durch siebenfaches Licht, vor ihm stehen die sieben mächtigsten Engel als lodernde Fackeln. Umgeben ist er von vier Wesen, die Gottes Schöpfungskraft versinnbilden. Von ihm geht alles aus und zu ihm kehrt es zurück. Er ist vorauswissendes „Auge“, Licht, Leben und Geheimnis.
Er ist der in Ewigkeit thronende Gott, aber zugleich ist er auch der Herr der Geschichte, wie sich im Fortgang der Apokalypse zeigen wird.

 

Tafel 3

Im  Bild des Buchmalers sitzt Gottvater in einer Mandorla, einer mandelförmigen Umschließung im blauen Grund auf dem „Thron“, einem brückenartigen Gewölbe in Gold, mit Edelsteinen besetzt. Der blaue Grund versinnbildet, dass er über den Wassern des Urmeeres thront, die Mandorla versinnbildet vielleicht den Regenbogen, dessen heller Schein Gottvater in der Vision des Propheten Ezechiel umgibt (vgl. Ez 1,28).

Er hat seine Füße auf einen dreifarbigen, kreisrunden Bogen gesetzt, der ihm als Schemel seiner Füße dient. Der Buchmaler will hinweisen auf den  Propheten Jesaja (Jes 66,1): „Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel für meine Füße“. Gottvater hält die Buchrolle in seiner Linken, die den Sinn der Lebenswelt und den Sinn und den Ablauf der Geschichte in sich birgt, die Rechte hat er im Redegestus erhoben: Mit seinem Wort erschafft er Himmel und Erde. Das Licht des Bogens strahlt auf über dem „gläsernen Meer“, dem Firmament, das das Gesicht des Okeanos in den Wellen zeigt und durchsichtig ist wie Kristallglas. Die „oberen Wasser“ bilden nach der Vorstellung des alten Weltbildes das Firmament, über dem sich der Thron Gottes erhebt.
Der dreifarbige Bogen trägt in sich die grüne Farbe der Erde, das Blau des Urmeeres und das Rot des Feuerhimmels im alten Weltbild: Gott ist der Herr über das All, über das grüne Land der Erde, über das blaue Urmeer und den roten Feuerhimmel, der auf das Firmament herabstrahlt, es mit seinen Blitzen erhellt.
Die vierundzwanzig Ältesten, der Hofrat Gottes, dargestellt vom Buchmaler stellvertretend in acht Personen, - sie tragen das siebenfache Licht Gottes in ihren Händen, in einem grünen Füllhorn der Hoffnung, in dem das Feuer brennt; es sind die sieben Geister Gottes, die sieben Gaben des Heiligen Geistes, die sie erfüllen. Das Grün des Füllhorns korrespondiert mit dem Grün, dem Kern des Bogens.
Sie haben dreifach gekrönte Häupter, die Stufenkronen mit Perlen besetzt; sie tragen den grauen Bart der Ältesten, sie symbolisieren die mächtigen Scharen der Engel, die Gott loben seit alters her. Sie repräsentieren die kosmische Ordnung, den   Rhythmus der Schöpfung, sie sind die Musik des Himmels, die Oktaven der himmlischen Musik und auch seine Liturgie.
Sie sind gekleidet in den Farben des Regenbogens , der Gott und Menschen immerwährend verbindet seit Noahs Landung der Arche. Alles von Gott Kommende steht im Goldgrund, aber noch stehen die Füße der Ältesten auf dem Grund der grünen Erde, denn die Engel betreten auch die Erde als Gottes Boten.

Um den thronenden Gottvater sind die vier geflügelten  Lebewesen gruppiert, die einem Löwen, einem Stier, einem fliegenden Adler und einem Menschen gleichen und der Vision des Propheten Ezechiel (Ezechiel 1) entstammen. Sie sind Figurationen der Schöpfungsmacht Gottes ( sie sind auch zu Symbolen der vier Evangelisten geworden ). Sie versinnbilden den „Mut“ des Löwen, die „Kraft“ des Stiers, den „Weitblick“ des fliegenden Adlers und die auf den Menschen bezogene Art, die „Menschenfreundlichkeit“, mit der Gott Himmel und Erde schuf. Und die Lebewesen des Himmels und die Werke Gottes loben immerfort den Herrn von Schöpfung und Geschichte. „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“.

Sie stehen in Bezug zum Kosmos, und sie drücken die Mächtigkeit, die gewaltige Energie, die innewohnende Weisheit und die majestätische Schönheit des Kosmos aus, die von Gott kommt.
Jedes der vier Lebewesen um den Thron Gottes ist sechsfach geflügelt und mit Augen überdeckt.
Sie sind die stets Wachenden, nie Schlafenden, sie sind dazu da, Tag und Nacht den Lobpreis der ewigen Macht Gottes zu singen. Sie symbolisieren die vier Winde und die vier Enden der von Gott beherrschten Welt. Sie symbolisieren die Herrschaft Gottes über die ganze Schöpfung, sie sind als Cheruben zur Wacht Gottes bestellt, die Augen drücken die Wachsamkeit aus ( vgl. dazu : Jürgen Roloff,a.a.O., S.69 f.). In den Psalmen heißt es: Gott fuhr auf dem Cherub und flog daher, er schwebte auf den Flügeln des Windes (Psalm 18,11).
Sie sind der Erdenschwere enthoben. Sie ruhen in sich und sind doch voller Bewegung. Sie sehen nach innen und aussen, sie sehen das Wesen und die Erscheinung. Sie sehen den innersten Kern, ihr Wesen ist Schauen, sie sind ein einziges Auge. Sie sehen nicht einzelne Dinge, sie schauen das Ganze. Tief in ihnen, im Grund ihres Wesens bildet Gott als Herr der Schöpfung und der Geschichte sich ab, er ist das Licht ihrer Augen.
Die sechsfach geflügelten Lebewesen entstammen der himmlischen Welt, der Geistwelt, sie kommen von oben; eingepflanzt aber ist der Schöpfungswelt unten und der Geschichte der Menschen ihr Wesen: der Forschungsmut (“Löwe“), „macht euch die Erde untertan“ - die Kraft des Voranschreitens und der Weiterentwicklung (“Stier“), „seid fruchtbar und mehret euch“ - Weisheit und Erkenntnis, Weitblick von oben (“fliegender Adler“). Gott schuf den Menschen nach seinem Bild in Majestät; der „Mensch“ ist Mittelpunkt der Erdschöpfung , auf ihn ist sie bezogen : Er soll herrschen in Verantwortung  Gott gegenüber über die Fische des Meeres, die Vögel des Himmels und alle Kreaturen.
Die geflügelten Wesen beobachten nicht die Menschen,  sondern es ist ein sorgendes Schauen. Mit seinen Flügeln beschirmt Gott die Menschen, heißt es in den Psalmen; die geflügelten Wesen sind die sehende Güte Gottes.  Sie durchschauen die Mächte und Gewalten, sie decken das Verborgene auf, sie bringen die Wahrheit ans Licht, sie erkennen das Gesicht hinter der Maske.
Sie hocken nicht in der Erdenschwere, sie werden getragen von den Lüften, sie schauen von oben und loben Gott in der Höhe: Gloria in excelsis Deo. Doch nicht nur oben in der Höhe lebt Gott, sondern auch unten auf der Erde. Und nicht nur im römischen Imperator oder im ägyptischen Pharao lebt Gott, sondern in jedem Menschen. Die Menschen, Gottes Volk, sind dazu bestimmt, wie die vierundzwanzig Ältesten Könige zu werden, die vor Gottes Thron stehen - und auf Thronen werden sie sitzen und Gott schauen.
Denn, der da ist in der Höhe des Himmels, er ist auch in der Tiefe des Menschen.9)

Er ist nicht nur ein Gott, der in der Höhe thront, er zieht auch mit den Menschen durch ihre Geschichte, durch Höhen und Tiefen, bis an das Ende der Zeiten. Doch diese Geschichte ist mit Rätseln besetzt und erscheint in ihrem Sinn wie ein versiegeltes Buch.

 


 

I. 2. DIE ÖFFNUNG DES BUCHES

Und ich sah auf der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß, eine Buchrolle; sie war innen und außen beschrieben und mit sieben Siegeln versiegelt. Und ich sah: Ein gewaltiger Engel rief mit lauter Stimme: Wer ist würdig, die Buchrolle zu öffnen und ihre Siegel zu lösen? Aber niemand im Himmel, auf der Erde und unter der Erde konnte das Buch öffnen und es lesen. Da weinte ich sehr, weil niemand für würdig befunden wurde, das Buch zu öffnen und es zu lesen.
Da sagte einer von den Ältesten zu mir: Weine nicht! Gesiegt hat der Löwe aus dem Stamm Juda, der Sproß aus der Wurzel Davids; er kann das Buch und seine sieben Siegel  öffnen. Offenb. 5, 1-5

Wer kann den Sinn der Welt erklären, ihre Rätsel und Chiffren lösen, ihre Siegel aufbrechen?

Wer kann den Sinn der Welt als Natur und Geschichte - Anfang, Mitte und Ende des Ganzen deuten - , die Welträtsel lösen? 10) Wer kann das Rufen der Menschheit erhören, ihre Tränen trocknen und ihre Sehnsucht stillen? Wer kann die Welt in Gottes Auftrag an ihr Ende führen? Ein ungeheures Verstummen entsteht im Himmel und auf Erden. Der Seher weint: Wieviele Tränen wurden vergossen im Warten auf den Messias?

 

Tafel 4: 

Im Bild des Buchmalers sitzt Gottvater auf dem Thron, vor ihm, dargestellt in acht Personen die vierundzwanzig Ältesten, die Engel des Hofrats Gottes. Sie sind vierundzwanzig, da sie vierundzwanzig  Stunden am Tag Gott loben. Sie versinnbilden die vierundzwanzig Stunden des Tages: Nächte und Tage, lobet den Herrn, singen die Jünglinge im Feuerofen.  Über ihnen schweben sieben Schalen, sie sind vom Heiligen Geist erfüllt. Sie legen Gottvater sieben goldene Kränze, die aussehen wie Halbmonde als Schemel unter die Füße. Aber es sind keine Halbmonde, es ist der Lichtglanz Gottes, der ihre Häupter wie Kränze umstrahlt. Sie legen Gottvater ihren siebenfachen Lichtglanz zu Füßen, und er lässt sein siebenfaches Licht in Schalen wie Öllampen über ihnen leuchten, sie sind die von Gott Erleuchteten.
Gottvater sitzt da im blutroten Übergewand, das Buch der sieben Siegel in der Rechten, die Linke erhoben, hindeutend auf das siebenfache Licht, das die Ältesten erleuchtet.
Der Engel Gottes, der Deuteengel der Apokalypse, - im unteren Bildrand, gegenübergestellt dem Seher Johannes, der die Offenbarung Gottes in der Linken hält - ,  ruft mit lauter Stimme: „Wer ist würdig, die Buchrolle zu öffnen und ihre Siegel zu lösen?“ Im Buch Gottes ist die Geschichte der Welt niedergeschrieben von Anfang an, versiegelt sind die Rätsel der Welt. Wer kann die Rätsel lösen und die Geschichte deuten?

Gottvater hält das versiegelte Buch, die versiegelte Rolle in der Hand, in der die Geschichte der Welt aufgezeichnet ist, damit der Herrscher des Himmels sie wisse.11) Er übergibt sie Christus, dem Lamm (Offenb. 5,7), das sieben Augen und sieben Hörner hat, Ausdruck des Allwissens und der Macht . Die sieben Augen sind die sieben Engel Gottes, die im Auftrag Gottes tätig sind; die sieben Hörner sind in Gegensatz gestellt zu den sieben Köpfen mit den zehn Hörnern des dämonischen Urdrachen. Das Lamm, der auferstandene Christus, wird als Weltenrichter „ inthronisiert“.

 


 

Tafel 5:

Im Bild des Buchmalers weist der Deuteengel mit langem Zeigefinger den Seher Johannes im unteren Bildteil hin auf das „Lamm“, das im Goldgrund Gottes steht. Der Buchmaler stellt das Lamm mit den sieben Hörnern in der Gestalt eines „Widders“, eines Leittieres dar, einem Symbol des Messias in den alttestamentlichen Schriften. Die Brust des Lammes ist verletzt und blutet.
Es bedeutet den zu Gott erhöhten Christus, der gekreuzigt wurde und von den Toten erstand. Das Lamm steht in der Mitte einer ummauerten, befestigten Stadt, niemand außer ihm kann die Siegel des Buches lösen und das Buch lesen. Es wird bewacht von den sechsflügeligen Lebewesen, die vor Gottes Thron stehen. Obwohl das Buch mit den sieben Siegeln geschützt ist wie eine befestigte Stadt, die den Zutritt verwehrt, so ist doch das große Tor der Stadt bereits weit geöffnet. Das Lamm steht mit Würde und Kraft und Hoheit auf dem purpurfarbenen Buch auf den Festungszinnen, es übt die Macht darüber aus. Doch steht es zugleich auch grazil und leichtfüßig auf dünnen Hufen, als würde es tanzen. Ihm obliegt es, die Geschichte der Welt an ein Ende zu bringen. Es steht über dem noch geschlossenen Buch der Weltgeschichte als Herr, aber seine Herrschaft ist nicht drückend, sondern leicht und befreiend.

Die himmlische Hofversammlung, die Ältesten, die Engelscharen und alle Geschöpfe singen das neue Lied der Freiheit: Nicht die unterdrückenden Mächtigen, die dämonischen „Drachen“ und der furchtbare Tod, sondern die von Christus vom Tod Freigekauften werden in der endzeitlichen Zukunft die Erde beherrschen.

In der Übergabe der versiegelten Schriftrolle an das „Lamm“ (Offenb. 5, 1-14) wird dem auferstandenen und erhöhten Christus die Herrschaft über die Geschichte übertragen, und er hat die Vollmacht, die Endzeitereignisse der Welt in Gang zu setzen. Er führt den endzeitlichen Plan Gottes aus, er ist der endzeitliche Messias und der endzeitliche Weltenherrscher. Die versiegelte Buchrolle beinhaltet den Auftrag Gottes an Christus, das endzeitliche Geschehen herbeizuführen (vgl. Jürgen Roloff, a.a.O., S. 24 f.)

Die Schriftrolle mit der Herrschaftsübertragung und mit dem verborgenen Geschichtsplan Gottes wird von Christus geöffnet,und er setzt mit dem Öffnen des ersten Siegels die Endzeit in Gang. Das Weiterlesen der Buchrolle ist nur möglich, indem immer wieder ein weiteres Siegel der Buchrolle gelöst wird. Der Seher Johannes sieht, was beim Öffnen der weiteren Siegel geschehen wird. Während der auferstandene Christus die Schriftrolle öffnet und sie liest, läuft das Geschehen der Endzeit ab.

Christus, der Sohn Gottes, der von Anbeginn bei Gottvater war, als die Welt erschaffen wurde, der Logos, der Mensch geworden ist und unter uns gewohnt hat, das „Lamm Gottes“, - er kann die Geschichte der Welt deuten und ihre Rätsel lösen. Er lenkt die endzeitliche Geschichte der Menschen.

Die Tränen darüber, die Rätsel unseres Daseins nicht lösen zu können, die Siegel nicht öffnen zu können, erinnern uns an die Tränen über die Weltkatastrophen, über die Kriege, die unheilbaren Krankheiten und über unsere eigenes Vergehen. Was ist der Sinn allen Leids und aller Not, aller Kriege und Katastrophen, der Sinn unseres Lebens und unseres Sterbenmüssens? Wer kann die Rätsel  der Welt und des ihr innewohnenden Leids lösen und erklären und ihnen einen Sinn geben?

Nicht die Vernunft der Philosophie wird sie lösen 12), sondern der, der alle Tränen trocknet, der Trauer, Leid und Schmerz hinwegnimmt, der Mitleid und Erbarmen hat, der die Liebe im Herzen trägt, der trauert mit den Trauernden und weint mit den Weinenden wie bei des Lazarus Erweckung.  Er, der das Leid der Menschen kennt, der dieses Leid wie ein Lamm, das geschlachtet wird, an sich erfahren hat, - der den Weg darüber hinausweist, weil er von den Toten auferstanden ist,  - er wird die Rätsel lösen. Er wischt die Tränen ab - , er schreit an gegen den Tod (“Lazarus, komm heraus..“) - , er fährt die Dämonen an und läßt sie weichen - , er öffnet den Blinden die Augen, damit sie auch als Blinde hinter den Dingen Gott schauen - , er richtet die Gelähmten auf und nimmt alles Schwere von ihnen, das auf ihnen lastet - , er löst den Stummen die Zunge, damit sie mit Gott in ihrem Inneren sprechen - , er gibt den Tauben das Gehör, damit sie Gottes Stimme hören - , er bringt den Menschen das Leben und ruft sie heraus aus ihrem täglichen Tod.

Am Anfang der Welt war das schöpferische Wort- der Logos, die Weisheit Gottes, das Licht Gottes, welches das Licht der Welt erschaffen hat. Das Licht Gottes ist Mensch geworden und hat sein Zelt unter uns aufgeschlagen. Und Er, Christus wohnt unter uns und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, eine Herrlichkeit voller Güte und Menschenfreundlichkeit. Er ist gekommen in die Dunkelheit der Welt und unserer Herzen, um uns von seinem Vater zu erzählen.

Er ist einer, der uns nicht hintergeht und uns nicht täuscht, einer, der die Liebe im Herzen trägt, einer, der voller Wahrhaftigkeit ist, der unsere Freude und unser Leid miterlebt hat. Keiner hat Gott je gesehen, nur der Einzige, der den Herzschlag Gottes hört, weil er an seinem Herzen ruht, er hat von ihm erzählt.

Wird Gott einmal die Rätsel lösen und uns die Lösung sagen, warum seine Geschöpfe in Leid und Tod so elendiglich zugrunde gehen. Hat er es gesehen, das Elend seiner Kreaturen? Steuert unser eigene persönliche Geschichte und die Geschichte der Schöpfungswelt auf eine Neue Welt Gottes zu, oder ist alles Leben nur vergänglicher Windhauch und steuert ziel- und planlos dem Untergang entgegen?

Gott, der  Herr der Geschichte, geht mit den Menschen durch die Zeit und er wird kommen in Christus am Ende der Geschichte. Er wird sich als Pantokrator, als Herrscher über die ganze Schöpfung zeigen, und er wird in Christus endzeitlicher Richter sein über die Weltgeschichte.

In einer Vision sieht der Seher Johannes, wie Christus die Siegel löst und die Endzeit in Gang setzt, und er schaut im Jetzt und im Voraus, was die Lösung der Siegel bewirkt; er schaut Gegenwart und Zukunft.  Er sieht, wie Christus die Siegel löst und die Geschichte des Buches liest, und er schaut zugleich den Ablauf der Ereignisse.

 


 

I. 3. DIE ÖFFNUNG DER ERSTEN VIER SIEGEL: DIE „VIER APOKALYPTISCHEN REITER“

DIE LÖSUNG DES ERSTEN SIEGELS:

DER REITER AUF DEM WEISSEN PFERD: DER „LEBENSKAMPF“, DIE „GEWALT“, UND DIE „UNTERDRÜCKUNG“

Dann sah ich: das Lamm öffnete das erste der sieben Siegel; und ich hörte das erste der vier Lebewesen wie mit Donnerstimme rufen: Komm! Da sah ich ein weißes Pferd; und der,  der auf ihm saß, hatte einen Bogen. Ein Kranz wurde ihm  gegeben, und als Sieger zog er aus, um zu siegen...
Offenb. 6, 1-2

Vier Reiter erscheinen dem Seher Johannes als die Grundkräfte der Schöpfungswelt. Vier ist die Zahl der Schöpfung, an deren vier Himmelsrichtungen vier Engel stehen.13) Sie bewachen die Tore zur Unterwelt, die sich nach dem Mythos an den vier Enden der Erde befinden.

„Vier Engel standen an den vier Ecken der Erde, sie hielten die vier Winde der Erde fest, damit der Wind weder über das Land noch über das Meer wehte...“ (Offenb.7,1).

Die vier Reiter verkörpern aber auch das Unheil, das immer und immer wieder über die Menschen hereinbricht im Gang der Geschichte. Die vier apokalyptischen Reiter - sie kommen von allen „vier“ Himmelsrichtungen, sie kommen von Norden, von Süden, vom Osten und vom Westen, sie kommen von überallher, und sie beherrschen und dezimieren unaufhörlich die Bewohner der Erde; ihr Programm heißt letztendlich der „Tod“ und ein Viertel der Erde ist von ihnen betroffen.

In den Bildern des Buchmalers sind die Pferde der apokalyptischen Reiter dargestellt mit einem mächtigen Körper, zu langen Beinen und einem zu kleinen Kopf - es sind apokalyptische Pferde.

Sie gehen in einem bestimmten Takt, die Hufe sind im Vorwärtsschreiten gesetzt wie Musiknoten, der Schweif schwingt im Takt der unhörbaren Musik, in dem sie schreiten, die Ohren sind gespitzt, sie hören im Tanzschritt die Musik der Endzeit.

Die Reiter halten die Zügel der Pferde locker, sie lassen sie gehen, die Pferde wissen von selbst ihren Weg. Sie schreiten auf dem Grün der Erde, doch sind sie getaucht in den Goldgrund der göttlichen Macht. Sie ziehen mit ihren Reitern über die Erde, und sie verfügen über gleichsam göttliche Macht über die Menschen der Erde, indem sie unaufhaltsam vorwärtsdringen über die Fluren der Erde, Unheil mit sich tragend. Ihnen gegenübergestellt im Goldgrund des Himmels ist ein widderähnliches Lamm, das entweder   einen Siegelring oder ein Buch trägt. Die Macht der apokalyptischen Reiter ist begrenzt durch das „Lamm“, den auferstandenen Christus.

 

Tafel 6:

Der erste Reiter auf dem weißen Pferd, (der Buchmaler hat es ockerfarben gemalt), bekleidet mit einem blutroten Mantel, den Bogen gespannt, zieht aus, um zu siegen. Von Beginn an ist das Leben ein Kampf, schon von Geburt an mit Schmerzen verbunden, aber immer nach vorwärts gerichtet: ein immerwährendes Werden und Entstehen. Ständig quillt aus der Erde eine neue Geburt und drängt vorwärts ins Leben.

Unschuldig - wie die Farbe weiß des Pferdes ausdrückt, die den vorwärtsdrängenden Reiter trägt, ist zunächst das Werden.14) Voller Unschuld entsteht das neue Leben und wird doch hineingeboren in eine Welt von Kampf und Schmerz, wie der blutrote Mantel und der gespannte Bogen zeigen.

Das neue Leben stürmt voran in vollem Lauf, voller Spannkraft, es will seinen Sinn im Dasein finden - ist positiv nach Vorne gerichtet - will alle Mühsal überwinden, um zu siegen. Es ist die Schöpfung, die im Werden nach vorne drängt, „unschuldig“ setzt sie Leben in die Welt, das heranwächst und auszieht, die Welt zu „erobern“. Es zieht in den Lebenskampf, den Bogen gespannt wie eine Triebfeder, um das Glück zu erjagen, sein Ziel zu finden - zu suchen, was das wunderbare Leben ihm alles bieten kann.

Positiv gerichtet ist das Leben, auf dem schmalen Grad zwischen Chaos und Erstarrung bewegt es sich zielgerichtet nach vorne (...) und Gott sah, dass es gut war, was er geschaffen hatte: die ständig sich erneuernde Schöpfung: Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde (...)
(Gen 1,28)

Ist der Sinn der Geschichte aber wirklich ein positiver, und wohin treibt die Geschichte der Menschen - kommt die Kraft der Schöpfung an ein Ende, wird sie am Ende erlahmen? Der Reiter reitet auf dem tiefgrünen Grund der Hoffnung: Was wird ihm das Leben bieten, was hält es für ihn bereit? Kann es seine Sehnsucht stillen oder war alles nur vergebens, ein leeres Trugbild? Ist alles nur vergänglicher Windhauch, wie das Buch Kohelet sagt?

So macht das Leben sich auf die Reise durch die verschiedenen Welten - zum Kampf gerüstet - voller Hoffnung, voller Kraft - immer im Aufbruch. Der Reiter zieht als Sieger aus, das ist seine Aufgabe, sein Ziel: Leben bestehen, Leben erhalten, Leben weitergeben. Vorwärtsdrängen, Wachsen und immer neu entstehen will das Leben, in Natur, Geschichte und Wissenschaft, im Flug zu den Sternen. Grenzenloses Sichentwickeln ist ein Grundzug des Lebens. Aber auch die vorwärtsdrängende Hoffnung, die uns Menschen innewohnt, wird sichtbar. Es ist ein immerwährender Aufbruch, eine unendliche Geschichte.

Doch der Reiter auf dem weißen Pferd, das vorwärtsdrängende Leben, besitzt auch eine dunkle Variante:

Der Kampf, der Lebenskampf, die Suche nach Lebenszielen und Lebenserfolg, wird auch mit Brutalität geführt. Es gibt ein Dominanzstreben in der gesamten Schöpfung: stärker sein als der andere, über ihm stehen, ihn besiegen, bezwingen, unterjochen und beugen. Der „Ober“ sticht den „Unter“ heißt es im Kartenspiel, die „Dame“ schlägt den „Bauern“ im Schachspiel. Es reicht der Kampf bis hinunter in die Tiefen der Schöpfung: Wer steht über dem anderen, wer ist der Stärkere, wer nimmt dem anderen das Licht, wer nimmt dem anderen die Nahrung in der Welt der Menschen, der Tiere und Pflanzen? „ Denn die einen stehn im Dunkeln und die andern stehn im  Licht“, sagt der Dichter Bert Brecht.

Unermüdlich jagen die Menschen nach Zielen - ist es am Ende doch nur vergänglicher Windhauch?

Aber dieses Jagen nach Zielen, es bewegt die Welt und die Geschichte, ein Kampf ums Überleben, ein Kampf um das Mehr an Glück, an Licht, an Nahrung und Genuss - ein ewiger Kampf im Leben der Geschöpfe.

Auch die Herrschaft des römischen „Imperiums“ gründet in den Augen des Sehers Johannes in rücksichtsloser, unterdrückender Dominanz und gewalttätigem Expansionsstreben und steht Christus, dem „Lamm“ gegenüber, der die Menschen in die Freiheit der Kinder Gottes führen will.

Die „Macht“ der Kriegsherren, der „Kampf“ der Imperatoren,  der „Stolz“ der Machthaber reitet über die Erde und beherrscht und dominiert sie, und die Menschen erzittern . Mit Siegeslust donnern die weissen Schlachtrosse über die Erde, auf dass sie unter ihnen erbebe.

Die Weltmacht Rom kommt auf dem weißen Pferd des siegreichen „Friedensfürsten“ geritten, sie kommt scheinbar voller „Unschuld“, das Leben zu entfalten, -  aber sie trägt  den roten Mantel des Bluts und der Gewalttat und reitet über die Erde, diese unter ihre Gewalt zu bringen. Sie ist ein apokalyptischer Reiter.

Der Reiter auf dem weißen Pferd trägt einen Bogen, die gefürchtete Waffe der Parther. Leuchtet hier der Alptraum auf, dass ein wiederkehrender römischer Kaiser („Nero“) sich verbünde mit den Reiterheeren der gefürchteten, bogentragenden Parther, und sie zusammen als Fremde das Land unterdrücken und beherrschen?

Auch das expansionistische Reich Roms wird immer wieder bedroht an der Ostgrenze, am Eufrat, von den Reitervölkern der Parther, obwohl die Römer auch Verträge mit ihnen abschlossen (z.B. 63 n. Chr. Vertrag zwischen Nero und der Parthern nach einem Krieg). Die Legende erzählt, Kaiser Nero (Selbsttötung 68 n. Chr.) sei nicht tot gewesen und zu den Parthern geflüchtet, und er werde einst wiederkommen an der Spitze der Partherheere und Rom vernichten. Der Verfasser der Apokalypse lässt ihn wieder „auferstehen“.

 


 

DIE LÖSUNG DES ZWEITEN SIEGELS:

DER REITER AUF DEM FEUERROTEN PFERD: DER „KRIEG“ UND DER „BÜRGERKRIEG“

 

Als das Lamm das zweite Siegel öffnete, hörte ich das zweite Lebewesen rufen: Komm! Da erschien ein anderes Pferd, das war feuerrot. Und der, der auf ihm saß, wurde ermächtigt, der Erde den Frieden zu nehmen, damit die Menschen sich gegenseitig abschlachten. Und es wurde ihm ein großes Schwert gegeben.
Offenb. 6, 3-4

Während das Leben sich entwickelt und vorwärtsdrängt, kommt eine zweite Grundkraft hinzu, die den Frieden raubt: der Krieg und der Bürgerkrieg, - ein vernichtendes Element, schon zugrundegelegt im neidenden Brudermord des Kain.

 

Tafel 7:

Der Reiter auf dem feuerroten Pferd, der Farbe des Blutes und des Kampfes (der Buchmaler hat es braun gemalt), hat ein großes Schwert in der Hand - er nimmt der Erde den Frieden und weist hin auf die mordende Aggressivität und den Überlebenskampf, der der Schöpfung immanent ist.

Der Krieg, der das Leben des anderen auslöscht wie das Licht einer Kerze, durchzieht das Leben der Völker und der einzelnen Menschen, die Geschichte ist eine Geschichte von Kriegen. Der mordende Kain sieht sich nicht als der Hüter seines Bruders Abel, aus Neid ermordet er ihn. „Homo homini lupus“, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, sagten die Römer. Tiere fressen einander, um leben zu können, und die Menschen wiederum fressen die Tiere und Pflanzen.

Einer überhebt sich über den anderen, einer wendet sich gegen den anderen. Ist der Mord, die Gewalttat, der Schöpfung inhärent? Der eine lebt auf Kosten des anderen. Ein unaufhörliches Gewoge der Interessengegensätze, des Machtspiels, der Gewinn- und Verlustrechnungen, des Kampfes um Kapital, um sich ein Mehr zu sichern auf Kosten des anderen, begleitet das Leben...

Der Krieg reitet durch die Geschichte, ein fahles Bild in der Darstellung des Buchmalers, fahl das Pferd, fahl der Untergrund, auf dem er reitet - gegenübergestellt der weißen Unschuld des Lammes.

Schlachtengetümmel, ein Meer von Blut - es stürmen die Massen gegeneinander - ein Grund findet sich immer, um sich gegenseitig abzuschlachten - die „Schlacht“ heißt es - bis sie ermatten und sich später fragen: Warum ist das geschehen?  Wann wird man es je verstehen? Wie weit reicht der Krieg hinab in die Schöpfung?

Den Frieden der Weihnacht gibt es nur im messianischen Reich: Der Wolf wohnt beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein, Kalb und Löwe weiden zusammen, Kuh und Bärin freunden sich an, der Löwe frißt Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter - das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange. (Jes 11,6 ff.)

In schicksalshafter Verkettung versucht immer wieder der eine sich über den anderen zu erheben, ihn zu unterdrücken im Kampf ums Überleben, und er lebt auf Kosten des anderen - oftmals aber tötet er den anderen im Kampf oder mordet ihn.

Die Befreiung und der Auszug aus der Unterdrückung geschieht unter Plagen, sonst lässt man den anderen nicht ziehen, weil man seinen Vorteil verliert. Und am Ende sucht man eher den Kampf, als dass man den Unterdrückten freigibt. „Lass mein Volk ziehen“, sagt Gott zum unterdrückenden Pharao und er spaltet das Meer, um Israel zu retten, im biblischen Mythos.

Immer wieder errichten die Völker den Turmbau von Babel, stellt einer sich über den anderen, um „Herrenmensch“ zu sein über den vermeintlichen Untermensch darunter. Es spukt in den Köpfen bis heute die angebliche Überlegenheit von Rassen, bis ihre in wahnhafter Arroganz errichteten „Türme“ wieder einstürzen in furchtbaren Kriegen.

Ein Grundzug der Schöpfung und der Geschichte ist der „Krieg“ der Kreaturen, der Kampf untereinander um das Überleben, geprägt von Aggression und Dominanzstreben. Bei den Menschen aber kommt noch der Aspekt der vollständigen Vernichtung des anderen hinzu;  sie sind auch fähig zum Völkermord, zum Holocaust. Sie besitzen apokalyptische, alles zerstörende Waffen; die Kernkraft der Sonne haben sie auf die Erde geholt.

Auch die Herrschaft „Roms“ basiert auf Dominanzstreben,Aggressivität und Krieg in den Augen des Sehers Johannes. Die Weltmacht Rom bringt Krieg und Bürgerkrieg über die Völker der Erde, um sie zu beherrschen, und mit dem Krieg unendliches Elend, Armut und Krankheit und Tod.                                                        

Was immer schon in der Schöpfungswelt zugrundegelegt ist, entwickelt und verwandelt es sich in der Geschichte der Menschen immer drängender zu apokalyptischen Reitern? Setzt es am Ende die Erde in Brand?

 


 

DIE LÖSUNG DES DRITTEN SIEGELS:

DER REITER AUF DEM SCHWARZEN PFERD: DER „HUNGER“ UND DIE „TEUERUNG“

 

Als das Lamm das dritte Siegel öffnete, hörte ich das dritte Lebewesen rufen: Komm! Da sah ich ein schwarzes Pferd;

und der, der auf ihm saß, hielt in der Hand eine Waage. Inmitten der vier Lebewesen hörte ich etwas wie eine Stimme sagen: Ein Maß Weizen für einen Denar und drei Maß Gerste für einen Denar. Aber dem Öl und dem Wein füge keinen Schaden zu.
Offenb. 6, 5-6

Die Kargheit des Daseins und die Begrenzung der Möglichkeiten des Daseins sind die dritte Determinante, die unsere Schöpfung bestimmen. Die Begrenztheit der menschlichen Existenzweise reitet über das Land: der Hunger und die Teuerung, die Inflation.

 

Tafel 8:

Der Reiter auf dem schwarzen Pferd hält im Bild des Buchmalers eine Waage in der Rechten, ihm gegenübergestellt ist das Lamm mit einem Siegelring. Christus, das Lamm, kann das Rätsel der menschlichen Begrenztheit, des fortdauernden Hungers und der Kargheit lösen, er kann das versiegelte Geheimnis aufdecken. Er kann im Fortgang der Weltgeschichte dieses Weltenrätsel lösen.

Die Früchte der Erde, die den Hunger stillen, sind dem Menschen zugemessen. Öl und Wein gibt es in bestimmten Zeiten im Überfluss, aber in anderen Bereichen herrscht oft der Mangel und der Hunger. Was dem Menschen zukommt, wird  abgewogen, maßvoll zugeteilt - der Mensch  lebt nicht im Überfluss. Steine zu Brot werden lassen, kann der Mensch nicht, im Schweiße seines Angesichtes muss er sein Brot essen.

Die Erde stößt immer wieder an ihre Grenzen, der Mangel ist ihr eingepflanzt. Zeiten des Überflusses wechseln sich ab mit Zeiten des Hungers in der Menschheitsgeschichte. Und so beten wir im Vaterunser: Unser tägliches Brot gib uns heute (im Überfluss).

Der Mensch muß zählen - wiegen - teilen, damit er den Mangel verwalten kann. Karg und mühselig ist das Dasein, die Waage begleitet den Menschen durch das ganze Leben. Seine Lebenschancen werden ihm zugeteilt. Ständig ist er am Rechnen und Berechnen.

Klimaveränderungen, Missernten, Hunger und fehlende Lebenschancen treiben die Menschen über die Länder der Erde auf der Suche nach Nahrung und Wohlstand und münden in Wanderbewegungen der Völker. Klimaveränderungen führten zum „Hunnensturm“, der die Völkerwanderung auslöste. Hungerepidemien, ungerechte Verteilung der Lebenschancen, der Kampf um Nahrung, Wasser und Energiequellen, führen zum Krieg unter den Völkern. Das Überlebenmüssen ist der ständige Begleiter der Kreaturen. Die „Begrenzung“ und das „Maß“ ist der Schöpfung immanent.

Doch der Stärkere sichert sich seinen Anteil auf Kosten der anderen. Der Reichtum des römischen „Imperiums“ wie jedes unterdrückenden „Imperiums“ basiert auf der Armut der ausgebeuteten Völker. Und der Hunger jagt immer wieder über die Erde wie ein apokalyptischer Reiter. Der große wirtschaftliche Wohlstand des römischen  Imperiums im 1. Jahrh. n. Chr. begünstigte lediglich eine Minderheit und erstreckte sich nicht auf die Mehrheit der städtischen Bevölkerung in Kleinasien, die in Armut lebte. Dasselbe gilt wohl auch für die anderen römischen Provinzen(es gab zum Beispiel unter Kaiser Domitian eine Überproduktion im Weinanbau in den Provinzen und eine Unterproduktion im Getreideanbau, was Domitian zum Eingreifen veranlasste. Es wurden riesige Mengen Wein nach Rom geliefert). Ein Denar war der Tageslohn eines Arbeiters, damit musste er seine Familie ernähren.

Das Mehr-Haben-Wollen Roms, die Ausbeutung, - der Wille, alles an sich reissen zu wollen, führt zur Knappheit, zur Teuerung und zur Inflation in den ausgebeuteten Ländern.

Doch grundsätzlich will der Seher sagen, dass Gott dem Meer und dem Land seine Grenzen gesetzt hat und auch allen Kreaturen der Erde. Die Lebenstage aller Geschöpfe der Erde sind begrenzt, begrenzt sind auch alle ihre Fähigkeiten. Allem Mühen der Menschen sind auf Erden Grenzen gesetzt : Seine Begrenztheit und der Mangel begleiten ihn alle Tage seines Lebens. 

 


 

DIE LÖSUNG DES VIERTEN SIEGELS:

DER REITER AUF DEM FAHLEN PFERD: DER „TOD“

 

Als das Lamm das vierte Siegel öffnete, hörte ich die Stimme des vierten Lebewesens rufen: Komm! Da sah ich ein fahles Pferd; und der, der auf ihm saß, heißt der „Tod“; und die Unterwelt zog hinter ihm her. Und ihnen wurde die Macht gegeben über ein Viertel der Erde, Macht, zu töten durch Schwert, Hunger und Tod und durch die Tiere der Erde.
Offenb. 6, 7-8

Die fortdauernde Todesdrohung in der Schöpfung wird in der Vision des Sehers Johannes sichtbar:

Alles geht seinem Ende entgegen, ständig vom Tode bedroht. Alles Leben ist eingegrenzt vom Tod, er umgibt es wie einen Kreis, den man nicht überschreiten kann. Ihn kann man nicht betrügen, auch wenn wir es gerne täten.

 

Tafel 9:

Der vierte Reiter heißt „Tod“ und Tod hat er in seinem Gefolge, er reitet auf einem fahlen Pferd, denn er lässt die Blüte des Lebens verwelken. Auch das Leben eines  jeden „Imperators“ wird durch den Tod begrenzt. Dem Reiter auf dem fahlen Pferd gegenübergestellt ist vom Buchmaler ein widderähnliches Lamm, das das versiegelte Buch geöffnet hat. Obwohl der Reiter auf dem fahlen Pferd den „Tod“ versinnbildet, so reitet er doch auf dem grünen Grund der „Hoffnung“, auch er ist eingetaucht in den Goldgrund Gottes.

Millionenfach wälzen sich die Geschöpfe in den Abgrund - „Jedermann“ - unaufhörlich durch alle Zeiten und alle Arten hindurch - Generation um Generation mäht der Tod mit seiner Sense nieder. Wer kann ihn besiegen?

Vergänglich ist der Mensch, heißt es im Psalm, er blüht wie die Blume des Feldes, fährt der Wind darüber ist sie dahin, der Ort, wo sie stand, weiß von ihr nichts mehr (Psalm 103). Der Mensch ist eine flüchtige, vergehende Erscheinung.

Im Buch Kohelet heißt es:
Am Tag, da die Wächter des Hauses (Arme) zittern, die starken Männer (Beine) sich krümmen, die Müllerinnen (Zähne) ihre Arbeit einstellen, weil sie zu wenige sind, es dunkel wird bei den Frauen (Augen), die aus dem Fenster blicken, und das Tor zur Straße (Ohren) verschlossen wird; wenn das Geräusch der Mühle (Mund) verstummt, steht man auf beim  Zwitschern der Vögel, doch die Töne des Liedes verklingen ...

Der Mandelbaum blüht (...) doch der Mensch geht zu seinem ewigen Haus. (Kohelet 12,3 ff)

Der Tod, der Reiter auf dem fahlen Pferd, wird von Hades, dem Gott der Unterwelt, des Totenreiches begleitet. Trotz der Endgültigkeit ist ihre Macht begrenzt, da der auferstandene Christus die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt besitzt. Ihnen wird die Macht gegeben über den vierten Teil der Erde, insofern der Tod die vierte Daseinsmacht ist.15)

Krieg, Hunger und grassierende Krankheit raffen jeden vierten Bewohner dahin, die Unterwelt steigt herauf und mit ihr alle Übel der Erde, als hätte Pandora ihre Büchse geöffnet, aus der alle Übel der Erde hervorquillen, angefangen  von ansteckenden Krankheiten bis hin zur vernichtenden und explodierenden Feuersbrunst. Jederzeit kann eine unheilbare Seuche die Erde überfallen, gegen die die Medizin vielleicht lange kein Heilmittel findet, und es würde zu einem Massensterben auf der Erde führen ähnlich der Pest. Doch würden wir nur uns mit dem Tod noch befassen, heißt es in den Erzählungen der Chassidim, dann würde niemand mehr bauen ein Haus. Deswegen habe Gott uns das Vergessen eingepflanzt.

Christus, das Lamm Gottes, öffnet das vierte Siegel und entsiegelt das vierte Welträtsel der Schöpfung : Was hat es mit dem Ende des Menschen auf sich, was ist der Sinn des Todes? Er kann das Rätsel  lösen, er, der von den Toten erstand. Der Mensch ist vom Tode bestimmt und ihm und seinem Gefolge ausgeliefert, doch ihre Macht ist geviertelt; sie ist nur ein Teil unseres Daseins. Der Tod hat nicht die vollständige Macht über die Menschen. Am Ende wird der auferstandene Christus endgültig den Tod überwinden.

In vielfacher Form bringt auch in der menschlichen Geschichte das römische Imperium in den Augen des Sehers Johannes den Tod über die unterdrückten Völker,aber die Macht des „Lammes“ ist stärker als das todbringende „Rom“. Die Brutalität der Imperatoren bringt über ein Viertel der Erdenbewohner den Tod, sie werden durch das Schwert getötet oder verhungern. Die wilden Tiere fressen die Gefallenen auf dem Schlachtfeld, sie werden zum Fraß der Tiere und nicht bestattet, weil niemand da ist, der sie bestatten würde. Die Weltmacht Rom, die den unterworfenen Völkern ihre Herrschaft aufzwingen will, wird zur tödlichen Bedrohung für die unterdrückten Völker: Die Kriege Roms ziehen Krankheiten und Seuchen hinter sich her ; die Armut, der Hunger und das Elend entstehen durch die Ausbeutung  von Seiten Roms. Ein Viertel aller Erdenbewohner kommt durch  diese Gewalt um.

Die vier apokalyptischen Reiter: Aggression und gewalttätige Expansion, Eroberung und Unterdrückung-,Krieg und Bürgerkrieg,Teuerung und Hungersnot, und der Tod, vor allem der gewaltsame Tod, Seuchen und Pest, begleiten die Menschheit durch ihre rätselhafte Geschichte. Sie zeigen ihren Schrecken in den Augen des Sehers Johannes vor allem auch im römischen Imperium. Kann das „Lamm“, der auferstandene Christus am Ende ihre Macht brechen?

Die vier Reiter werden von den vier Wesen, die am Throne Gottes stehen, und die Schöpfungskraft und die Herrschaft Gottes in alle vier Himmelsrichtungen ausdrücken, gerufen. Die Schrecknisse aber, die von den apokalyptischen Reitern ausgehen, werden von Menschen verursacht, die Gott geschaffen hat, und sie werden ausgelöst in einer von ihm geschaffenen Welt. Die Weltgeschichte scheint von den apokalyptischen Reitern bestimmt. Die Schrecknisse des ersten Reiters lösen nacheinander die der anderen Reiter aus. Aber Gottes Weisheit und Wollen umgreift das Unheilsgeschehen , es treibt das kommende Geschehen voran, und er ordnet es sinnvoll ein in seinen Plan, am Ende den neuen Himmel und die neue Erde zu schaffen ( vgl. dazu Jürgen Roloff, a.a.O., S.79 ff.).

 


 

I. 4. DIE ÖFFNUNG DES FÜNFTEN UND SECHSTEN SIEGELS:

DIE VERFOLGUNG DER GERECHTEN IN DER GESCHICHTE UND DIE „TRAUER“ DER SCHÖPFUNGSWELT


Als das Lamm das fünfte Siegel öffnete, sah ich unter dem Altar die Seelen aller, die hingeschlachtet worden waren wegen des Wortes Gottes und wegen des Zeugnisses, das sie abgelegt hatten. Sie riefen mit lauter Stimme: Wie lange zögerst du noch, Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, Gericht zu halten und unser Blut an den Bewohnern der Erde zu rächen? Da wurde jedem von ihnen ein weißes Gewand gegeben; und ihnen wurde gesagt, sie sollten noch kurze Zeit warten, bis die volle Zahl erreicht sei durch den Tod ihrer Mitknechte und Brüder, die noch sterben müssten wie sie.

Und ich sah: Das Lamm öffnete das sechste Siegel. Da entstand ein gewaltiges Erdbeben. Die Sonne wurde schwarz wie ein Trauergewand, und der ganze Mond wurde wie Blut. Die Sterne des Himmels fielen herab auf die Erde, wie wenn ein Feigenbaum seine Früchte abwirft, wenn ein heftiger Sturm ihn schüttelt. Der Himmel verschwand wie eine Buchrolle, die man zusammenrollt, und alle Berge und Inseln wurden von ihrer Stelle weggerückt. Und die Könige der Erde, die Großen und die Heerführer, die Reichen und die Mächtigen, alle Sklaven und alle Freien verbargen  sich in den Höhlen und Felsen der Berge. Sie sagten zu den Bergen und Felsen: Fallt auf uns und verbergt uns vor dem Blick dessen, der auf dem Thron sitzt, und vor dem Zorn des Lammes; denn der große Tag ihres Zorns ist gekommen. Wer kann da bestehen?
Offenb. 6, 9-11 und 12-17

Auf die Schrecknisse, die von den vier apokalyptischen Reitern ausgehen , folgt bei der Öffnung des fünften Siegels die Vision der Verfolgung der Christen und der Seliggepriesenen der Bergpredigt. Die Martyrer, deren Seelen in der unmittelbaren Nähe Gottes sind, deren „Blut“ am Fuße des himmlischen Altares Gottes sich gesammelt hat wie das Blut von Opfertieren, rufen laut und drängend zu Gott , ihnen doch bald endzeitliche Gerechtigkeit widerfahren zu lassen beim Gerichte Gottes. Ihr unschuldig vergossenes Blut, ihre Seelen schreien zu Gott um Gerechtigkeit.

Sie erhalten von Gott das weiße Gewand, das hochzeitliche Gewand der geladenen Gäste, die der König eingeladen hat zur Hochzeit seines Sohnes, wie das Gleichnis des Mattäusevangeliums vom Himmelreich erzählt (Mt 22,11-14). Die Getauften tragen das weiße Gewand, das Hochzeitsgewand der geladenen Gäste, zum Hochzeitsmahl.Es ist das strahlend weiße Hochzeitsgewand der Endzeit für die Braut des „Lammes“ (vgl. Jürgen Roloff, a.a.O., S. 84).

In erster Linie geht es bei der Öffnung des fünften Siegels um die Wellen der Christenverfolgungen im römischen Imperium, um das Leid der Christen, die ihr Leben lassen mussten für ihren Glauben, um die Scharen die Martyrer.

Es geht um die Christen, die mit ihrem Blut Zeugnis abgelegt haben für Christus.

Die Öffnung des fünften Siegels manifestiert aber auch das Rätsel der Ungerechtigkeit in der Geschichte der Menschen und das Rätsel des vielfachen Mordes an den Menschen, die auf  Seiten der Wahrheit, der Freiheit und der Gerechtigkeit stehen. Selig, die ein reines Herz haben, heißt es in der Bergpredigt im Mattäusevangelium, denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften, sie werden Söhne Gottes genannt werden. Selig, die um der Gerechtigkeit verfolgt werden, denn ihrer ist das Himmelreich.

Es geht bei dem Thema der Gerechtigkeit nicht nur um die Christen, die im ersten Jahrhundert n. Chr. wegen ihres Glaubens verfolgt wurden, weil sie für die Herstellung der Religionsfreiheit, für die Freiheit von staatlicher Unterdrückung und für die Befreiung von wirtschaftlicher Benachteiligung durch die römischen Behörden eintraten. Es geht um alle Menschen, zu allen Zeiten, die für Wahrheit und Gerechtigkeit eintreten; sie sollen das weiße Gewand Gottes erhalten, das Gott selbst für sie gewebt hat.

Immer wieder tauchen im Fluss der Geschichte der Menschheit, die Macht- und Gewalthaber auf, die „Imperatoren“ und setzen sich auf die Throne der Herrschaft. Sie werden gleichsam emporgeschwemmt und sie tragen „Schaumkronen“, bis ihre Herrschaft schließlich wie eine Luftblase zerplatzt, und man im Nachhinein erkennt, dass sie politische Gaukler waren, die eine Wunderwelt versprachen und Schrecken produzierten. Ihr Reich ist auf Treibsand gebaut. Um ihre Herrschaft abzusichern, verbreiten sie Terror und Schrecken, ersticken anderes Denken und jede Opposition in Blut, verschleppen die Menschen in Lager und lassen sich feiern von hysterischen Massen. Sie verfolgen die, die für Freiheit und Gerechtigkeit eintreten. Sie errichten Zwangssysteme, lassen die Menschen an illusionäre Inhalte glauben und führen am Ende in Not und in Krieg. Sie huldigen einem gewaltigen Gott: Das ist ihr eigenes „Ich“, ihre eigene Lust an der Macht, genährt vom eigenen Wahn.

Nicht ein „Moloch“ soll allen Reichtum und Luxus an sich ziehen, sondern es geht im christlichen Verständnis um Chancengleichheit und gerechte Verteilung der Güter der Erde, um Menschenrechte und Menschenwürde, Bekämpfung von Hunger und Krankheit in der Welt im Sinne des Schöpferwillens: Gott sah, dass es gut war, was er geschaffen, und gut sollen die Menschen , die er nach seinem Bild geschaffen, verwalten, was er ihnen anvertraut hat. Endgültig aber wird die Gerechtigkeit am Ende der Geschichte von Gott selbst kommen.

Die Gräuel der Geschichte - Unterdrückung, Ausbeutung, Völkermord - schlagen auf die Menschheit zurück. Der Schrecken der Konzentrations- und Vernichtungslager, der Gulags, vergiftet über lange Zeiträume die Atmospäre in der Welt und produziert neuen Schrecken, weil die Menschlichkeit aus dem Gleichgewicht gekommen ist und ihre Ruhe nicht findet.

Wo Hass gesät wird, wird Hass geerntet, wo die Unschuld verletzt wird, gerät die Schuld nicht ins Vergessen. Die beiden Brüder „bereuende Schuld“ und „Vergebung“ haben sich oft nicht getroffen und sich nicht versöhnt.

Auf verschlungenen Wegen rächt sich die Schuld und kommt nicht zur Ruhe,weil sie ohne Sühne die Vergebung nicht findet. Sie drängt ans Licht und sucht die Vergebung. Solange sie diese nicht findet, muss sie ruhelos wandern. Wenn Menschen Schreckliches erlebt haben in Generationen an Existenzangst und Unterdrückung, dann drängt irgendwann der aufgestaute Hass gleich der Eruption eines Vulkans nach oben, und mündet wiederum in Krieg und in Morden und sucht sich ein „Opfer“. Die Unaufhörlichkeit der Kriege und ihre damit verbundenen Gräuel schlagen sich nieder im kollektiven Gedächtnis der Menschen und lassen in ihnen archetypische Schreckensbilder, apokalyptische Visionen für die Zukunft aufsteigen.

Die Angst, die alle befällt, ist ein Grundelement unseres Daseins. Es existiert eine Grundangst vor dem eigenen Untergang und dem kosmischen Untergang, und diese Grundangst wird genährt durch unsere eigene Unheilsgeschichte.

Das Erlebnis der fortdauernden Ungerechtigkeit in der Geschichte der Menschen  führt aber auch zur Sehnsucht und zum Schrei nach Gerechtigkeit: Gott möge doch eingreifen und die Gerechtigkeit herstellen und die Ungerechtigkeit rächen.16) Er möge die Erde doch befreien von Unterdrückung, Krieg, Hungersnot und verheerenden Krankheiten, von Trauer und Angst.

Bei der Öffnung des sechsten Siegels wird deutlich, dass sich das Kommen des Menschensohnes und das Endgericht am Horizont zeigt in seinen Ausmaßen, die den ganzen Kosmos umfasst.In jenen Tagen wird die Sonne sich verfinstern, der Mond nicht mehr scheinen , die Sterne vom Himmel fallen, die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden, und man wird den Menschensohn auf den Wolken des Himmels kommen sehen in großer Macht und Herrlichkeit, sagt das Markusevangelium (Mk 13,24-27). Das Himmelsgewölbe ist ausgespannt wie ein Zelt und wird gestützt von den Bergen,besagt das antike Weltbild. Wenn die Berge ihren Stand verlieren, wird es einstürzen. Der noch ferne Weltuntergang wird drohend ganz nahegerückt, und er zeigt die Angst derer, die in der Ferne Gottes stehen oder sich gegen ihn stellen.

Das Weltgebäude beginnt zu wanken, aber noch stürzt es nicht ein: Ein kosmisches Drohbild zeigt sich am nahen Horizont.

Das Universum bricht in einem visionären Schreckensbild des Sehers zusammen in „Trauer“ über die ermordeten Christen und über alle Ermordeten, die an Gottes Seite stehen.

Die Öffnung des sechsten Siegels zeigt die „Trauer“ der Schöpfung über die Ungerechtigkeit in der Welt und über die Verfolgung der Gerechten und derer, die für Gerechtigkeit eintreten. Die Erde bebt und zittert, der Boden wankt unter ihren Füßen, es zieht ihr die Füße weg, die Sonne am Himmel geht in Trauer, und im roten Mond leuchtet wider das Blut der Gerechten.17) In Trauer wird der Himmel hin- und hergerissen. Ein Sturm schüttelt ihn, er kann nicht mehr standhalten. Er wirft die Sterne ab wie ein Feigenbaum, der seine späten Früchte abwirft, weil die nahenden Herbst- und Winterstürme an ihm rütteln. Es wird  „Herbst“ und  „Winter“  zugleich für das Universum.

Die Schöpfung befällt eine globale Trauer darüber, dass die Gerechten verfolgt und hingeschlachtet werden. Sie bricht zusammen wie eine Trauernde, sie verhüllt ihr Haupt, sie verstummt, sie zieht ein Trauergewand an - die Sonne „erlischt“. Der Himmel wird zusammengerollt wie eine Buchrolle, der über die Erde gebreitete Schutzmantel verschwindet - die Buchrolle wird eingerollt, die Geschichte von Himmel und Erde ist vom auferstandenen Christus, dem „Lamm Gottes“ zu Ende gelesen. Zusammengerollt wurde der Himmel, als würden Kulissen zusammengerollt und zusammengeräumt, sodass die wirkliche Wirklichkeit sichtbar werde nach dem Weltentheater.

Berge und Inseln werden „verrückt“, sie verlieren ihren Boden, weil ihre Grundlage, die „Bodenplatte“ der Erde zerbricht; die Welt geht unter in der Vision des Sehers Johannes. Die nicht Kinder Gottes sind, verbergen sich unter den zusammenstürzenden Bergen und Felsen vor der herannahenden Gerechtigkeit des Weltenrichters. Die Erde, auf die sich die Menschen verlassen haben, auf die sie vertraut haben, weil sie glaubten, sie sei ihr sicherer Halt, sie bebt unter ihren Füßen und bricht auseinander - ihre ganze Sicherheit wird ihnen unter den Füßen weggezogen - nur Gott allein bietet ihnen noch Sicherheit.

In der Vision des Sehers verwandelt sich die Schöpfung in ein lebendiges Wesen, das sich in Trauer hüllt, das zittert vor Angst, seine Sterne abwirft wie ein Baum seine Früchte, das flüchtet, sich zusammenrollt, wankt und zerbricht wegen der Verfolgung der Gerechten. Die ganze Schöpfung bäumt sich auf in der visionären Vorstellung des Sehers. Die Berge und Felsen können hören und man kann mit ihnen sprechen, sie werden zu „lebenden“ Wesen.

Die Könige der Erde und die Bewohner der Erde, die nicht auf Seiten Gottes stehen, sie wollen sich verstecken, sich verbergen im „Tod“, die Schöpfung soll sie mit ihren Überresten bedecken und für sie zum Grab werden,- aber es geht nicht, sie können sich nicht verstecken: Sie werden Rechenschaft ablegen müssen vor Gott, seinem Gericht und seiner Gnade.

Der Schrei nach Gerechtigkeit, Gott möge doch eingreifen und die Angst derer, die Unrecht tun, wird bei der Öffnung des sechsten Siegels in einem mythischen Bild geschildert. Die Schöpfung „erschrickt“ in ihrem Innersten, sie fällt in Trauer und Schmerz in der Vorstellungswelt des Sehers über das, was den Gerechten angetan wird.

Die Taten der Bewohner der Erde aber sind es, die die Erde im Chaos versinken lassen. Sie sind es, die die Erde schädigen, sodass ihre Kräfte erschüttert werden. Sie selbst rufen die Chaosmächte herbei, durch das, was sie tun: Im Sternenregen stürzt das Himmelsgewölbe auf die Erde, weil man an seinen Grundfesten rüttelt, den Weisungen des Schöpfers nicht folgt. Es erscheint in der Vision des Sehers die Vorstellung des Himmels wie von einem Baum, an dem die Sterne wie spät heranreifende Feigen hängen. Wenn die Zeit der „Ernte“ gekommen ist, wird  der Baum geschüttelt und die Früchte fallen herab im Sternenregen, weil das Gericht Gottes kommt. Das Weltenjahr hat sich vollendet.

Der Himmel erscheint als geöffnete, aufgeschlagene Buchrolle, die eingerollt und geschlossen wird. Die Schöpfung des Himmels erscheint als ein Buch, in dem alle Ereignisse und alles Geschehen verzeichnet sind - das Buch ist zu Ende gelesen und wird geschlossen - die Zeit ist erfüllt, das endzeitliche Erscheinen Gottes ist nahegekommen.

Die Berge und Inseln, die von Gott tief eingepflanzt sind in die Erde, werden aus ihren Wurzeln gerissen. Das Schöpfungsgefüge gerät durcheinander, die Statik des Weltgebäudes stimmt nicht mehr. Alles wird von der Stelle gerückt, die Gott ihm zugewiesen hat seit Beginn der Schöpfung.

Die Schöpfung findet ihre Mitte nicht mehr, sie gerät außer sich wegen der Taten der Bewohner der Erde. Sie selbst sind es, die durch ihre Taten das Chaos herbeirufen, weil sie sich dem Schöpfungswillen Gottes, der Gerechtigkeit will, entgegenstellen.

Das Chaos gewinnt die Oberhand: Das Chaos, das durch die Schöpfungsordnung Gottes gebändigt und in seine Schranken gewiesen wurde, kehrt wieder. Und alle Bewohner der Erde, die nicht auf Seiten Gottes stehen, wollen sich verbergen vor dem hereinbrechenden Chaos und der herannahenden Gerechtigkeit in den Höhlen der Felsen, aber es gibt kein Verbergen - die Felsen werden bersten - alles wird offenkundig, nichts bleibt verborgen beim Erscheinen des Weltenrichters.

 

Tafel 10:

Doch bevor alles vergeht, gebieten die vier Engel, die an den Enden der Erde stehen, den Chaosmächten Einhalt, damit die Gerechten gerettet werden, damit ihnen das Siegel Gottes aufgedrückt werde: Sie gehören Gott und stehen unter seinem Schutz. 18) Die vier Engel hemmen die rasende Entwicklung des Geschehens, damit es nicht alles mit sich reißt wie eine Sturmflut.

Man sieht im Bild des Buchmalers, wie die vier Engel den Winden, die als gehörnte Köpfe erscheinen, an den vier Enden der Erde Einhalt gebieten.

Das „Lamm Gottes“, das neue Paschalamm, der auferstandene Christus, bewahrt die Seinen vor den Mächten des Todes, wie die Kinder Israels bewahrt wurden in der Nacht des Auszugs aus Ägypten. Die das Zeichen von Christus auf ihrer Stirn tragen, gehören zu ihm, sie sind aus Gott geboren. Sie sind die Seliggepriesenen der Bergpredigt. Sie werden keinen Hunger und keinen Durst mehr leiden, weder Sonne noch Hitze wird ihnen schaden, sie werden aus der Quelle trinken, aus der das Wasser des Lebens strömt.  Christus, der Gute Hirte trägt die erlöste Menschheit auf seinen  Schultern und bringt sie zur Quelle des Lebens.

Das Rätsel der Ungerechtigkeit unter den Menschen  begleitet die Geschichte der Menschheit, und die Schöpfung verfällt in Trauer darüber. Bei der Lösung des fünften und sechsten Siegels schütteln sich in einem Bild der Himmel und die Erde vor Entsetzen wie ein lebendiges Wesen über das Unrecht und die Verfolgung, die Menschen erleiden müssen, die Christus anhangen.

Es ist ein visonäres  Schreckens- und Drohbild am Welthorizont, das die „Trauer“ der Schöpfung beschreibt.

Bei der Lösung des siebten Siegels aber droht in einem Bild die kosmische Schöpfung sich langsam aufzulösen, die innere Schöpfung aber, das „Innere“ des Menschen wird gequält und droht, zerstört zu werden. Doch bedroht diese Schreckensvision nur die Bewohner der Erde, die nicht zu Christus gehören, während die „Besiegelten“, die Getauften und alle, die auf Seiten Gottes stehen, von ihm beschützt werden und sich geborgen wissen. Auch sie erleben den Schrecken, doch wird er ihnen letztendlich nicht schaden, weil sie unter dem endzeitlichen Schutz Gottes stehen. Ein Drittel des kosmischen Schöpfung und der Menschen wird in der Vision des Sehers geschädigt als Steigerung des Viertels von Seiten der apokalyptischen Reiter.

Die Lösung der sieben Siegel zeigt die Not der Schöpfungswelt und der in ihr wohnenden Menschen. Nach der Lösung der sechs Siegel, die die Not der Menschen zeigen: in der Erscheinung der apokalyptischen Reiter, der Verfolgung der Christen und der Gerechten, dem visionären Bild des Untergangs der alten Schöpfung,dem Bild der „Trauer“ - zeigt die Lösung des siebten Siegels das drohende Hereinbrechen des Chaos in die Schöpfungswelt und die bereits teilweise einsetzende Auflösung der Schöpfungswelt beim Schall der Posaunen. 

 


 

I. 5. DIE ÖFFNUNG DES SIEBTEN SIEGELS UND DIE POSAUNEN DER SIEBEN ENGEL:

       DAS DROHENDE WETTERLEUCHTEN DES UNTERGANGS

       DER SCHÖPFUNGSWELT

       - KOSMISCHE KATASTROPHEN

       - INNNER „SCHRECKEN“ DER BEWOHNER DER ERDE

Als das Lamm das siebte Siegel öffnete, trat im Himmel Stille ein, etwas eine halbe Stunde lang. Und ich sah: Sieben Engel standen vor Gott; ihnen wurden sieben Posaunen gegeben. Und ein anderer Engel kam und trat mit einer goldenen Räucherpfanne an den Altar; ihm wurde viel Weihrauch gegeben, den er auf dem goldenen Altar vor dem Thron verbrennen sollte, um so die Gebete aller Heiligen vor Gott zu bringen. Aus der Hand des Engels stieg der Weihrauch mit den Gebeten der Heiligen zu Gott empor.

Dann nahm der Engel die Räucherpfanne, füllte sie mit glühenden Kohlen, die er vom Altar nahm, und warf sie auf die Erde; da begann es zu donnern und zu dröhnen, zu blitzen und zu beben. Da machten sich die sieben Engel bereit, die sieben Posaunen zu blasen.
Offenb. 8, 1-6

Gott antwortet bei der Öffnung des siebten Siegels auf die Bitte der Martyrer, der Heiligen und der Christengemeinden, um das Kommen seines Reiches.“Zu uns komme dein Reich“, heißt es in der Vaterunserbitte. Die Gebete und die Bitten sind wie Weihrauch zu ihm emporgestiegen aus der Hand des Engels. Gott zeigt seine Macht und seinen „Zorn“. Es kommen die Plagen, die dem Exodus des Volkes Gottes aus der alten Welt und dem Hinübergang in die neue Welt Gottes vorangehen. Sie werden angekündigt durch die Posaunen der sieben mächtigsten Engel,die vor Gott stehen.

Die Öffnung des siebten Siegels eröffnet das Rätsel, dass die Schöpfung bereits jetzt sich teilweise zurücknimmt, sich aufzulösen beginnt, dass die Dämonen „entfesselt“ werden und sie die Bewohner der Erde besetzen, von ihnen Besitz ergreifen. Warum kommen die kosmischen Katastrophen und die inneren Katastrophen über die Menschen? Ist es die sich selbst rächende Schuld der Menschen, die Plagen entstehen lässt, die auf die Menschen zurückschlagen?

Die in der Apokalypse auftauchenden Bilder sind Metaphern für die Rachegestalten: wundersame, schreckenerregende Wesen, die die Bewohner der Erde verfolgen. Die Schuld der Bewohner der Erde, die nicht auf Seiten Gottes stehen, zieht in der Vision des Johannes ein grauenvolles Heer hinter sich her, das Verderben bereitet und die Bewohner der Erde schlägt.

Die Schöpfung selbst wird unter Plagen um ein Drittel zurückgenommen, sie verdunkelt sich, sie steuert langsam ihrer Auflösung entgegen. Das Mene-Tekel erscheint schon an der Wand, noch aber tritt der völlige Zusammenbruch nicht ein. Die äußeren und inneren Katastrophen sind Zeichen für nahendes Unheil, das kommende Unheil wirft seine Schatten voraus, ein „Schattenwurf“ des Kommenden, ein drohendes Wetterleuchten am Welthorizont.

Die drohende Rücknahme der Schöpfung, die Verdunkelung der Welt, wenn Gott sein Gesicht abwendet, soll die Reue der Erdbewohner hervorrufen. Der „verlorene Sohn“ soll aus Reue umkehren, wenn das Licht der Sonne sich verdunkelt, das Wohlergehen der Menschen geringer wird.

Die ganze Schöpfung ruft die Menschen zur Reue und Umkehr auf, die Reue soll hervorgerufen werden durch Einsicht. Die Gerechten aber, die auf Seiten Gottes stehen, sind inmitten der Plagen gerettet und behütet.

Der Fortgang der Apokalypse wird auf der anderen Seite unausweichlich, mit zwingender Konsequenz erfolgen, notwendig und zwangsläufig. Mit „Bitterkeit“ wird die Gerechtigkeit Gottes kommen, aus sich selbst heraus, denn die ganze Schöpfung wird es erzwingen, wie eine Geburt wird sie kommen, und die Wehen haben schon eingesetzt.

Bevor die Endzeit beginnt und Gott selbst erscheint, tritt im Himmel Stille ein, eine halbe Stunde lang:

Der Neuschöpfung geht ein gewaltiges Schweigen voraus, es folgt eine Wiederkehr der Urzeitereignisse zur Zeit der Weltenschöpfung. Nach jüdischer Überlieferung (4.Esr. 6,39) heißt es: „Damals war nur ein schwebender Geist, Finsternis ringsum und Schweigen“(vgl. Jürgen Roloff, a.a.O., S.93). Im Buch Genesis heißt es: Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Da sprach Gott (in die lautlose Stille hinein): „Es werde Licht“.

Die Stille drückt aber auch das Erschrecken aus über den richtenden Gott, der seine Schöpfung zurücknimmt, und das Staunen über die neu heraufsteigende Welt, die er schafft. Es ist die Stille der Erwartung.

Bevor Gott selbst erscheint und die Macht übernimmt, werden von Gott selbst den sieben mächtigsten Engeln, die vor ihm stehen, sieben Posaunen gegeben,und sie rufen die Plagen des „Exodus“ herbei:Kosmische Katastrophen kommen von oben auf die Erdschöpfung herab, dämonische Mächte steigen von unten aus dem Abgrund herauf zum Schrecken der Menschen, ein dämonisches Reiterheer bricht über die Erde herein. Es zeigt sich das drohende Wetterleuchten des Untergangs.

 

Tafel 11:

Sieben Engeln werden sieben Posaunen gegeben, es sind die sieben mächtigen Engel, die als lodernde Fackeln vor Gottes Thron stehen:  Die Plagen, die dem Auszug des Volkes Gottes aus dem gottfeindlichen „Ägypten“ vorausgehen, wenn das Volk Gottes in die Freiheit der Kinder Gottes zieht und die gottfeindliche Stadt „Jericho“ beim Schall der Posaunen fällt, - leuchten in der Vision des Sehers auf.

„Und ein anderer Engel kam und trat mit einer goldenen Räucherpfanne an den Altar“. Der Altar wird in der himmlischen Liturgie zum Altar des „Zornes Gottes“. Die Gebete der Heiligen werden wie Weihrauchkörner auf die glühenden Kohlen des Altares Gottes gelegt ,und sie steigen zu Gott auf und bitten ihn, dass er der Gerechtigkeit Raum verschaffen möge.

Dann füllt der Engel die Räucherpfanne mit glühenden Kohlen vom Altar und wirft sie auf die Erde: Die Erde soll brennen und glühen wie ein Feuerofen, ein symbolischer Akt des „Gerichts“, auf dass Gerechtigkeit werde.

Die Rätsel kosmischer und globaler Katastrophen, die einen Teil der Erde vernichten, verbinden sich mit dem Rätsel des inneren Leids, das die Menschen überfällt, die in Gottes Ferne leben. Die Erde wird zum Verbrennungsofen, und die Menschen in diesem „Ofen“ werden innerlich und äußerlich verbrennen, teils aber auch überleben. Noch gehen die Bewohner der Erde insgesamt nicht unter, noch haben sie Zeit zur Umkehr. Die Heiligen Gottes aber, die Menschen, die Zeugnis für Gott ablegen, werden gerettet, und sie werden Gott loben wie die Jünglinge im Feuerofen.

Wer sind die glühenden Kohlen, die auf die Erde geworfen werden? Sind es die Früchte des „Zornes“ Gottes? Die Menschen rufen selbst die Katastrophen auf sich herab, sie sammeln glühende Kohlen auf ihr Haupt. Von selbst rufen sie das Chaos und das Ende der Schöpfung herbei, sie selbst bewirken und verschulden durch ihr Verhalten die Katastrophen - die Schöpfung zahlt es ihnen heim. Sie beginnt in umgekehrter Reihenfolge der Schöpfungstage sich aufzulösen wie ein lebendiges Wesen, aber sie vollendet es noch nicht, - es ist eine Drohung. Die Kinder Gottes aber ziehen durch das Chaos hindurch wie die Kinder Israels beim  „Exodus“ aus Ägypten, es kann sie nicht berühren, sie überleben wie die Jüngling im „Feuerofen“.

Durch die Schuld der Menschen werden dämonische Kräfte frei, die gebunden waren. Die Schöpfung selbst stellt sich gegen die Menschen und nimmt von ihrer Fülle ein Drittel zurück. Bitterkeit überfällt die Schöpfung, wie ein scharfes Schwert kommt das Gericht, unerbittlich wird es kommen.

Das Gericht, die kommenden Plagen kündigen sich in den Posaunen der sieben Engel an, wie Mose sie dem Pharao ankündigte, aber sie werden dennoch nicht geglaubt. „Lass mein Volk ziehen“ in die Freiheit der Kinder Gottes, spricht Gott zur Personifikation der unterdrückenden Macht, sonst wird die ganze Schöpfung sich gegen dich wenden - das Leben selbst wird dich angreifen. Und deine Zukunft wird sterben wie einst der Sohn des Pharao in Ägypten.

Die Posaunen der ersten vier Engel kündigen kosmische Katastrophen an, ein Drittel der gesamten Schöpfung wird von ihnen betroffen, - die Posaunen des fünften und sechsten Engels aber kündigen  innere Katastrophen an, die das Innere der Menschen betreffen. Aber inmitten der Katastrophen, wo sich Exodusplagen mit der teilweisen Auflösung der Schöpfung verbinden, wird das Volk Gottes weiterziehen zum „Gelobten Land“.

Die Kinder des Lichtes sind Gottes Eigentum, er hat ihnen sein Siegel aufgedrückt, er wird sie retten. Er wird sie mit weißen Gewändern bekleiden und sein Zelt über ihnen aufschlagen. Er wird sie zu Quellen führen, aus denen das Wasser des Lebens strömt, und er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen.

Was sich im Hinabwerfen des Feuers vom Himmel her auf die Erde symbolisch angedeutet hat, erfüllt sich beim Schall der sieben Posaunen (vgl. Jürgen Roloff, a.a.O., S. 99):

 

Tafel 12:

Der Posaunenstoß des ersten Engels:

Der erste Engel blies seine Posaune. Da fielen Hagel und Feuer, die mit Blut vermischt waren, auf das Land. Da verbrannte ein Drittel des Landes, ein Drittel der Bäume und alles grüne Gras.
Offenb. 8, 7

Die Schleusen des Himmels, des himmlischen Urozeans  öffnen sich, und es bricht Unheil aus den Wolken hervor: Eis und Feuer, Hitze und Kälte, breiten sich aus, ein Drittel des Landes verbrennt.

Eis und Kälte, lobet den Herrn, Feuer und Hitze, lobet den Herrn, singen dagegen die drei Jünglinge im Feuerofen, erzählt das Buch Daniel, denn die Glut des Feuerofens kann ihnen nichts anhaben.

Die Vegetation geht zugrunde, die Bäume verwelken, und erinnern an die langen Zeiten der Dürre und Perioden der Eiszeit in der Geschichte der Schöpfung. Was Gott geschaffen hat in der Schöpfungsgeschichte, es geht in umgekehrter Reihenfolge wieder zugrunde, es versinkt im Chaos, aus dem heraus es entstanden ist. Der kunstvolle Bau Gottes verschwindet in Teilen, es ist ein langsames Vergehen der Schöpfung, die er durch sein Wort geschaffen hat. Die Posaunen der Endzeit lassen sie vergehen. Er lässt in der Schöpfung am dritten Tag das Land junges Grün hervorbringen - doch alles grüne Gras verbrennt, die Bäume werden kahl und vereisen und öde wird das Land.

Im Bild des Buchmalers bläst ein mächtiger Engel im Goldgrund eine nach unten gekrümmte, grüne Posaune. In den unteren Segmenten des Bildes   sieht man Flammen züngeln zwischen den Erdschollen, zwischen den Bäumen mit den hellen Schirmblättern und  in dem Grasland, ganz rechts im Bild. Die Flammen zeigen die anbrechende Vernichtung der Erde. Der Seher Johannes sieht es von unten.

 

Tafel 13:

Der Posaunenstoß des zweiten Engels:

Der zweite Engel blies seine Posaune. Da wurde etwas, das einem großen brennenden Berg glich, ins Meer geworfen. Ein Drittel des Meeres wurde zu Blut. Und ein Drittel der Geschöpfe, die im Meer leben, kam um, und ein Drittel der Schiffe wurde vernichtet.
Offenb. 8, 8-9

Die Berge brennen, und das Innere der Erde, die Lava bricht glühend hervor, es regnet Asche herab, das Meer gerät in Bewegung durch die Springflut, und ein Drittel der Schiffe auf dem Meer wird vernichtet. Gott lässt am fünften Schöpfungstag die Seetiere entstehen - ein Drittel der Geschöpfe im Meer kommt um. Wie sich beim Auszug aus Ägypten das Wasser des Nils in Blut verwandelte, so verwandelt sich ein Drittel des Meeres in Blut und lässt ein Drittel der Lebenswelt des Meeres sterben.

Im Bild eines „brennenden Berges“ schlägt ein riesiger Meteorit ein, durch ihn sterben viele Meeresgeschöpfe, und er schlägt einen Krater, in dem die Schiffe verschwinden wie in einem Schlund.

Im Bild des Buchmalers züngeln Flammen aus den Meeresfluten im unteren Segment, auf dem der Engel steht, im mittleren Segment schwimmen Fische im rötlich gefärbten Wasser, im rechten Segment sieht man ein gekentertes Schiff.

Aus der Höhe des Himmels wird eine gewaltige, brennende Masse, groß wie ein Berg, hinabgeschleudert.Im traditionellen Bild erzählt das äthiopische Henochbuch (äth. Hen.18,13 f.) wie Henoch am Ende des Himmels sieben Sterne wie große brennende Berge schaut und erfährt, dass es sich bei ihnen um gefesselte Engel handelt (vgl. Jürgen Roloff, a.a.O.,S.99).

Wir wohnen mitten in einem Schwarm von Asteroiden, die die Sonne umkreisen, jederzeit und ohne Warnung können sie uns treffen. Aber eine noch größere Gefahr bilden die Kometen, die von außerhalb des Sonnensystems kommen. Ein Asteroid oder Komet mit einem riesigen Durchmesser, der auf der Erde einschlägt, würde eine globale Katastrophe auslösen, das Erdklima würde über viele Jahre verändert, die Menschen würden verhungern, die Zivilsation würde zerstört.

 

Tafel 14:

Der Posaunenstoß des dritten Engels:

Der dritte Engel blies seine Posaune. Da fiel ein großer Stern vom Himmel; er loderte wie ein Fackel und fiel auf ein Drittel der Flüsse und auf die Quellen. Der Name des Sterns ist Wermut. Ein Drittel des Wassers wurde bitter, und viele Menschen starben durch das Wasser, weil es bitter geworden war.
Offenb. 8, 10-11

Es fällt ein großer Stern vom Himmel, den Gott an das Himmelsgewölbe gesetzt hatte, damit er den Menschen leuchte (Gen 1,17) und Licht in ihre Dunkelheit bringe. Er ist ein Lichtträger, der vom Himmel fällt. Der Name des Sterns ist Wermut.

Der Himmelskörper, der voller Gift ist, vergiftet das Trinkwasser und die lebenspendenden Quellen und macht sie bitter. Es sind die Wasser des Todes, die bitter schmecken. Die Süße des Wassers verwandelt sich in Bitternis.

Er vergiftet aber auch die Atmosphäre unter den Menschen. Er verbittert das Leben von Menschen, die an ihrer Bitternis sterben. Ihre Bitterkeit aber kommt von ihrer Gottesferne.

Im Bild des Buchmalers  sieht man einen mächtigen Engel die Posaune blasen, ein rotstrahlender Stern steht am rötlichen Himmel und strahlt herab in den Goldgrund, und unten an den Wassern liegen zwei verzweifelte, nackte Menschen, die sterben.

 

Tafel 15:

Die Posaune des vierten Engels:

Der vierte Engel blies seine Posaune. Da wurde ein Drittel der Sonne und ein Drittel des Mondes und ein Drittel der Sterne getroffen, so dass sie ein Drittel ihrer Leuchtkraft verloren und der Tag um ein Drittel dunkler wurde und ebenso die Nacht. Und ich sah und hörte: Ein Adler flog hoch am Himmel und rief mit lauter Stimme: Wehe! Wehe! Wehe den Bewohnern der Erde! Noch drei Engel werden ihre Posaunen blasen.
Offenb. 8, 12-13

Gott schuf die beiden großen Lichter, Sonne und Mond, und die Sterne aus dem Chaos, damit sie über die Erde hin leuchten - sie verlieren ein Drittel ihrer Leuchtkraft; die Erde wird dunkler, ihr Lichtschein beginnt zu verblassen, sie geht allmählich ins Dunkel und in die Kälte, weil die Sonne ihre Kraft verliert. Die Erde existiert nicht aus sich heraus, sie lebt aus dem Universum heraus. Wenn das Universum sich verdunkelt, wird auch sie sterben.

Die Menschen brauchen das Licht, um zu leben. Wenn der Schein des Himmelslichtes abnimmt, kündigt es für sie das Kommen der endzeitlichen Finsternis an. Der Adler überfliegt die Geschichte in unzugänglicher Höhe und sieht von oben, aus der „Vogelperspektive“, aus der er weite Zeiträume überblicken kann, den laufenden Niedergang, das nahende Ende, die zunehmende Bedrängnis der Erde. Diese Bedrängnis, die sich in den nächsten drei Posaunenvisionen ankündigt, wird ihren Schrecken vor allem für die in sich bergen, die in der Ferne Gottes leben.

Der krächzende Adler oder Aasgeier, der kommendes Unheil schon von weitem sieht, und der sich am kommenden Aas laben wird, das er schon umkreist, wird so zum Unheilboten (vgl. Jürgen Roloff, a.a.O.,S.101), mitthimmels fliegt er dahin (vgl. Das Neue Testament, übers. v. Fridolin Stier, a.a.O).

Im Bild des Buchmalers sieht man im oberen Bereich, wie ein Drittel der Sonne, die über dem Goldgrund , dem Lichtbereich schwebt, sich verdunkelt. Auch ein Drittel des Mondes, der über dem dunklen Bereich, dem Bereich der Nacht als Sichel hängt, verdunkelt sich und auch ein Teil der Sterne verliert seine Leuchtkraft. Dem posauneblasenden Engel mit schwarzen Flügeln steht gegenüber der Seher Johannes. Im unteren Bildteil stößt ein riesiger Adler den Weheruf aus, der Seher Johannes sieht das Geschehnis.Der rufende Adler schwebt im Goldgrund Gottes und korrespondiert mit dem im Goldgrund stehenden posauneblasenden Engel.

 


 

Die Posaune des fünften Engels:

Der fünfte Engel blies seine Posaune. Da sah ich einen Stern, der vom Himmel auf die Erde gefallen war; ihm wurde der Schlüssel zu dem Schacht gegeben, der in den Abgrund führt. Und er öffnete den Schacht des Abgrunds. Da stieg Rauch aus dem Schacht auf, wie aus einem großen Ofen, und Sonne und Luft wurden verfinstert durch den Rauch aus dem Schacht. Aus dem Rauch kamen Heuschrecken über die Erde, und ihnen wurde Kraft gegeben, wie sie Skorpione auf der Erde haben.
Offenb. 9, 1-3

Ein Stern fällt vom Himmel, - ein Engel, und er öffnet mit seinem Schlüssel das Tor zur Unterwelt, wo die Dämonen, die bösartigen Geister hausen: apokalyptische Schreckgestalten,  sie steigen herauf zur Erde. Rauch steigt auf aus dieser Feuerhölle und verfinstert das Licht der Sonne. Es verfinstert sich das Leben für die Menschen, die in Gottes Ferne leben.

In der Geschichte der Menschen steigen aus dem Abgrund, den der geöffnet hat, der als Stern vom Himmel gefallen ist, und der den Schlüssel zum Schacht des Abgrunds hat, alle Gräuel  hervor; er hat die „Büchse der Pandora“ geöffnet. Die Gräuel der Erde entweichen aus dem Schacht der Erde, der bisher verschlossen war. Der vom Himmel gefallene Engel öffnet den Schacht und was aufsteigt, verfinstert das Licht der Sonne und vernebelt die Klarheit der Luft - es stinkt nach Abgrund. Der Engel des Abgrunds aber befehligt die geflügelten Heuschrecken, die aus dem Rauch des Feuers kommen, sein Name ist Apollyon 19).

 

Tafel 16:

Blutrot steht die Sonne im Bild des Buchmalers am Firmament, schwarz umrahmt, sie trägt Trauer. Vom Firmament stürzt senkrecht ein roter Stern vom Himmel, an dem er befestigt war. Noch hängt er an einem roten Faden, einem Haar, doch gleich wird er in den Brunnenschacht fallen; er ist der „Schlüssel“ zu dem Brunnenschacht, er wird ihn öffnen wie die Büchse der Pandora, und alle Gräuel werden ihm entsteigen. Es ist ein Stern, der zum Schlüssel für einen Brunnen wird, der Unheil gebiert.

Aus dem Brunnenschacht steigt dünner, tiefschwarzer und dreifach gekräuselter Rauch auf, drohend wie eine gedrehte Speerspitze gegen das Licht der Sonne gerichtet, die er verdunkelt und in ein blutrotes Licht färbt. Aus dem Brunnenschacht kommt kein Wasser, er ist ausgetrocknet in seinem Innern, er birgt versengendes Feuer für die Menschen. Dem Schacht entsteigen zwei dämonische Wesen, bunt geflügelt, die Häupter gekrönt als wären sie die Könige der Unterwelt.

Voller Anmut, wie junge Füllen scheinen sie in die Welt zu springen,, als wären sie gerade geboren - „Ausgeburten der Hölle“. Sie tragen den Panzer wie einen Schmuck, sie sind geschmückt mit blondem langem Frauenhaar, sie haben vordergründig ein liebes Gesicht wie ein Mädchen, ihr Gesicht hat die Gesichtsfarbe des Engels, doch die Zähne sind gefletscht wie Löwenzähne, Raubtierzähne - sie lassen nichts Gutes erahnen. Ihr Schwanz aber ist eine drohend erhobene Schlange - Hinterhältigkeit ist ihr Programm, hinter der Maske lauert der Schrecken, janusköpfig ist ihre Art.

Das erste dämonische Wesen hat seine Vorderfüße bereits auf das Grün der Erde gesetzt, das zweite ist auf dem Sprung dorthin. Sein Schlangenkopf aber ragt sogar in den Goldgrund des Himmels hinein, wo auf einem Felsen über dem Geschehen der mächtige geflügelte Engel Gottes steht, der die riesige, grünliche, nach oben gekrümmte Posaune bläst. Er kündigt das unheimliche drohende Grauen an, das den Pforten der Unterwelt entschlüpft; der Seher sieht es von unten, halb versunken in die Erde. Er sieht den aus der Tiefe aufsteigenden Schrecken, der die Bewohner der Erde überfällt.

Die fliegenden Heuschrecken der Apokalypse schaden nicht der Natur, sondern den Menschen, die nicht zu Gott gehören. Sie haben Schwänze und Stacheln wie Skorpione; sie sind apokalyptische Fabelwesen. Den gottfernen Menschen, die nicht von Gott geschützt werden, wird ein zermürbender Schmerz zugefügt wie ein Skorpionenstich und von Seiten der Menschen zeigt sich ihre extreme Hoffnungslosigkeit: Sie wollen sterben, dürfen aber nicht.

Die „ Heuschrecken“ als bedrohliche Mischwesen werden beschrieben als Werkzeuge dämonischer Mächte: voller Angriffslust (wie Schlachtrosse), mit vorgetäuschter Siegeslust (wie mit Kränzen geschmückt), sie denken sich gemeine Qualen aus (wie Menschengesichter), sie sind rasend und wild (sie haben lange Haare und ein Löwengebiß), sie sind gnadenlos (sie tragen einen eisernen Panzer), sie sind rücksichtslos (wie ein Streitwagen), sie sind hinterlistig (wie ein Skorpion) und voller Brutalität (kräftige Schwänze), ein endzeitliches Schreckensheer unter dem Kommando einer dämonischen Gestalt (vgl. H. Ritt, Offenbarung des Johannes, a.a.O., S. 55 ).

Man kann ihnen nicht entkommen, da sie „fliegen“ können, sie sind schneller als die flüchtenden Menschen. Sie sind ein geflügeltes Heer, das den Menschen überall hin verfolgt und ihn „beißt“ und „sticht“. Man kann sie nicht totschlagen, sie tragen einen „Panzer“, der sie schützt.

Es ist die Dämonie von Menschen beschrieben, die in den anderen Menschen, die nicht von Gott beschützt werden und sich in ihm geborgen fühlen -in deren Innerem einen dämonischen Schrecken verbreiten durch ihre Gemeinheit, ihre Gnadenlosigkeit und ihre Brutalität, die sich symbolisiert in dem Bild eines Heuschrecken-Skorpions, eines gepanzerten, fressenden, stechenden, alptraumhaften und schreckerregenden Wesens. Es sind die „Dämonenheere“, die die Menschen in ihrem Inneren quälen, sie innerlich verletzen.

Der innere Schrecken der Menschen sind innere Tragödien, die auf der Hoffnungslosigkeit basieren und die die Menschen innerlich quälen und auffressen. Es ist ein Kampf mit inneren Schreckensgebilden, der in den Herzen der Menschen wütet, ein Krieg in der Seele. Der innere Schrecken wird ausgelöst durch die Gemeinheit der Menschen, ihre Hinterhältigkeit, ihre Lust, andere zu quälen, durch ihre Brutalität, ihren Vernichtungswillen, ihre Lust, andere in der Meute zu jagen - ihre Bosheit. Die Bosheit der anderen, die Menschen erleben können, ungetröstet von Gott und sich in ihm nicht geborgen fühlend, formt sich in den Opfern zu grotesken Schreckensgebilden, die sie in der Phantasie verfolgen.

Eine Metapher für dämonische Mächte, die den Menschen in seinem Inneren quälen können, wenn er auf der Wüsten- und Schattenseite des Lebens steht, ist der „Heuschrecken-Skorpion“. Obwohl Feinde (der Skorpion tötet und frisst auch die Wanderheuschrecke) haben sie sich zu einem grotesken Fabelwesen verbunden. Die fliegenden Heuschreckenschwärme fressen unersättlich alles Grün und fressen auch dem Menschen die Nahrung weg, die Skorpione lähmen und töten.20)

Das Fabelwesen ist eine Verbindung dahinjagender Kriegsrosse mit einem Giftstachel, der unhörbar leise kommt und doch tödlich wirkt; es ist eine Krieg mit der schleichenden Pest im Gefolge, ein „Krieg“ gegen die Menschen, der im Inneren der Menschen geführt wird. Die Geisterheere der Heuschreckenschwärme fressen den Menschen inwendig das Leben weg. Die Skorpione sind lichtscheue Schattenjäger, ihnen gehört das Reich der Nacht, das bis zu Morgen reicht. Sie suchen die Schattenwelt,Spalten und Höhlen, um sich vor dem Licht zu schützen, das Licht der Sonne tötet sie. 21)

Im Fabelwesen verbinden sich die unersättliche Fressgier von Heuschreckenschwärmen, vergleichbar dahinjagenden zahllosen fliegenden Kriegsrossen,  mit dem lähmenden und tödlichen  Giftstachel von schleichenden Wesen aus der Schattenwelt, die urplötzlich zuschlagen. Der Seher Johannes will ausdrücken, dass die beiden Elemente dieser dämonischen Fabelwesen den Menschen besetzen, ihn innerlich quälen und schließlich zerstören. Sie bedrohen ihn bei Tag und bei Nacht. Sie haben als König über sich den Engel des Abgrunds.

 

Tafel 17:

Der Posaunenstoß des sechsten Engels:

Der sechste Engel blies seine Posaune: Da hörte ich eine Stimme, die von den vier Hörnern des goldenen Altars her kam, der vor Gott steht. Die Stimme sagte zu dem sechsten Engel, der die Posaune hält: Binde die vier Engel los, die am großen Strom, am Eufrat, gefesselt sind. Da wurden die vier Engel losgebunden, die auf Jahr und Monat, auf Tag und Stunde bereitstanden, um ein Drittel der Menschheit zu töten. Und die Zahl der Reiter dieses Heeres war vieltausendmal tausend; diese Zahl hörte ich. Und so sahen die Pferde und Reiter in der Vision aus: Sie trugen feuerrote, rauchblaue und schwefelgelbe Panzer. Die Köpfe der Pferde glichen Löwenköpfen und aus ihren Mäulern schlug Feuer, Rauch und Schwefel.
Offenb. 9, 13-17

Den dämonischen Heuschrecken folgt in der Vision des Sehers Johannes ein dämonisches Reiterheer. Der Damm ist bereits gebrochen, die Urflut der Dämonen sucht sich ihren Weg, nichts hält sie mehr auf, sie sind „entfesselt“. Die vier dämonischen Engel, die am Eufrat gefesselt waren, damit das Wasser in seinen Bahnen gehalten wird und die Sintflut nicht wiederkomme,-sie wurden losgebunden.

Durch ihre eigene Schuld binden die Menschen die Todesengel am Eufrat los, und das dämonische Reiterheer überschwemmt die Erde. Durch ihre Schuld sprechen die Menschen sich selbst das Urteil.

Die dämonischen vier Engel, die freigelassen wurden von einem mächtigen, die Endzeit ankündigenden Engel Gottes, rufen die Sintflut herbei, aber es ist keine Sintflut des Wassers, es ist eine andere Art der Flut:

Reiterheere kommen aus dem Osten wie eine Sintflut über den Eufrat und überschwemmen das Land . Die berittenen Pferde speien vorne Feuer  und Schwefel ,und hinten speien sie Gift. Sie haben Löwenköpfe, sie morden inwendig die Menschen, sie haben Schwänze wie Schlangen und peinigen die Menschen, die sich von Gott abwenden. Es sind Fabelwesen, die vorne Hass und hinten „Gift“ verspritzen und den Menschen, die keine Kinder des Lichtes sind, innewohnen. Sie verbrennen, vergewaltigen und ermorden den Menschen inwendig, seine Seele und sein Gemüt, weil er auf der dämonischen Seite des Lebens wohnt. Es sind die Dämonen, die im Menschen Wohnung genommen haben, und die Christus mit dem Finger Gottes aus dem Menschen vertreibt. Es sind die Dämonen, die den Menschen verschließen und taub werden lassen, ihn blenden, ihn verstummen lassen in Trauer und Gram, ihn lähmen und ihn dem Tode ausliefern. Sie führen Krieg gegen die Menschen, und sie nehmen von ihnen Besitz und hausen in ihnen. Sie beherrschen die Menschen, und sie „töten“ sie, denn ihre Zielrichtung ist der „Tod“, die Gottesferne, das ins Vergessen Gottes fallen. Gott jedoch will die Umkehr der Bewohner der Erde, aber es erfolgt meist keine Umkehr, denn nur selten kehren die Menschen wirklich um.

Im Bild des Buchmalers sieht man im oberen Bereich vier gefesselte Engel über den Wellen des Eufrat, der posauneblasende Engel löst dem zweiten soeben die Fessel. Daneben steht ein Altar, aus der im Redegestus die Hand Gottes ragt. Im unteren Bildbereich sieht man drei Reiter in Panzerhemden, aus den Mäulern ihrer Pferde kommt Feuer und Rauch und Schwefel, die Schwänze der Pferde tragen Schlangenköpfe. Sie reiten über drei tot am Boden liegende Menschen.

 

Tafel 18:

Der Engel mit dem Buch:

Und ich sah: Ein anderer gewaltiger Engel kam aus dem Himmel herab; er war von einer Wolke umhüllt, und der Regenbogen stand über seinem Haupt. Sein Gesicht war wie die Sonne, und seine Beine waren wie Feuersäulen. In der Hand hielt er ein kleines, aufgeschlagenes Buch. Er setzte seinen rechten Fuß auf das Meer, den linken auf das Land und rief laut, so wie ein Löwe brüllt. Nachdem er gerufen hatte, erhoben die sieben Donner ihre Stimme........Und die Stimme aus dem Himmel, die ich gehört hatte,sprach noch einmal zu mr: Geh, nimm das Buch, das der Engel, der auf dem Meer und auf dem Land steht, aufgeschlagen in der Hand hält.Und ich ging zu dem Engel und bat ihn, mir das kleine Buch zu geben.Er sagte zu mir: Nimm und iß es! In deinem Magen wird es bitter sein, in deinem Mund aber süß wie Honig.Da nahm ich das kleine Buch aus der Hand des Engels und aß es.In meinem Mund war es süß wie Honig.Als ich es aber gegessen hatte, wurde mein Magen bitter.
Offenb. 10, 1-3 und 10, 8-10

In diese Geschichte der Menschen hinein schickt Gott seinen gewaltigen, rettenden Engel. Der Engel Gottes mit dem Buch ist der Überbringer der Frohen Botschaft, sie wird von den glaubenden Menschen verinnerlicht, sie essen sie wie süßes Brot, aber sie schmeckt auch bitter, weil sie die Bitterkeit des Todes enthält, die denen winkt, die für Christus eintreten.

Der Regenbogen über dem Haupt des Engels erinnert an den Bund Gottes mit den Menschen nach der Sintflut: Ich setze meinen Bogen in die Wolken zum Zeichen dafür, dass ich euch vor jeder Sintflut bewahre. Er rettet die Seinen wie in einer Arche. Der Engel, von einer Wolke umhüllt, kommt vom verborgenen Gott, den man nicht sehen kann, und sein Gesicht leuchtet wie die Sonne:

Er hat Gott geschaut, den Inbegriff des Lichts. Seine Beine waren wie Feuersäulen: Die Feuersäule ging den Israeliten voran in der Nacht des Auszugs aus Ägypten. Die sieben Donner bei seinem Rufen erinnern an das Erscheinen Gottes am Berg Sinai, sie gehen der Epiphanie Gottes voraus. Der Engel ist Bild für Gottes Erscheinen.

Er setzt den einen Fuß auf das Land und den anderen auf das Meer, es herrscht Gott über das Land und über das Meer mit allen Geschöpfen, die er geschaffen hat. Er ist wie eine Brücke, die Land und Meer verbindet und zusammenhält. Das Geheimnis Gottes wird vollendet: Er steht über dem Meer und dem Land, er hat sie erschaffen, und er herrscht über sie, und darum wird er es sein, der Gericht über sie halten  und die Schöpfung an ihren Endpunkt führen wird. Doch niemand weiß den Tag und die Stunde, sie sind das „Geheimnis“ Gottes.

 

Tafel 19:

Der Meßstab Gottes (Offenb. 11,1)

Gott wird alles messen mit seinem Meßstab, mit seinem Maßstab, und alle werden gezählt werden, die zu ihm gehören, damit keiner verlorengehe. Denn er kennt jeden Einzelnen mit seinem Namen, er hat ihn in seine Hand geschrieben. Alles, was von ihm vermessen wird, gehört zu seinem Bereich, es wird eingezirkelt, er setzt die Grenzen -  er grenzt seinen Bereich ab gegen das Dunkel. Und die Bewohner dieses Bereiches sind seine Heiligen, es sind die getauften Christen, es sind alle, die Gott nahestehen.

Das Zeugnis der beiden Propheten:

Und ich will meinen zwei Zeugen auftragen, im Bußgewand aufzutreten und prophetisch zu reden, zwölfhundertsechzig Tage lang. Sie sind die zwei Ölbäume und die zwei Leuchter, die vor dem Herrn der Erde stehen.
                                                                 Offenb. 11, 3-4

Dann erscheinen in der Vision des Sehers die zwei Propheten der Endzeit, sie kommen wieder am Ende der Zeiten, wie es im vierten Kapitel des Buches Sacharja heißt. Mose, der Israel aus Ägypten und ins Gelobte Land führte, er versinnbildet das voranziehende Licht - und Elia, der der Witwe Mehl und Olivenöl nicht ausgehen ließ, ihren Sohn zum Leben erweckte und auf dem Sonnenwagen in den Himmel auffuhr, er versinnbildet das  Leben. Sie sind es, die vorangehen und Gottes Volk führen und nähren. Sie sind die zwei Leuchter vor Gott, weil sie Licht Gottes in der Welt sind, sie sind die zwei Ölbäume, weil sie Frucht tragen für die Menschen und deren Hunger stillen. Mose kann die Plagen der Endzeit herbeirufen  und Elia kann den Himmel verschließen, damit es nicht regne, und er kann Feuer vom Himmel fallen lassen.

Die Christen sind endzeitliche Mose- und Eliagestalten, weil sie Mose und Elia nachfolgen, und weil sie vom Leben durch den Tod hindurch zur Auferstehung kommen. Mit dem prophetischen Reden „ quälen“ sie die Menschen, weil sie diese warnen wollen. Sie sind die gläubigen Menschen der Endzeit,sie sind die christlichen Propheten in der schon begonnenen Endzeit. Wenn sie ermordet werden, so werden sie in der Endzeit auferstehen, zum Neuen Land Gottes ziehen und zum Himmel aufsteigen. Das „Tier“, der Drache ist es, der sie ermordet.

Wegen ihrem Rufen nach Gerechtigkeit rufen sie die Plagen der Endzeit herbei  und die Katastrophen der Endzeit brechen über die Menschen herein. Sie sollen die Menschen zur Umkehr aufrufen wie Jona die Bewohner Ninives. Niemand kann ihnen wirklich etwas antun, und ihr Reden ist wie Feuer, das aus ihrem Mund kommt. Immer und immer wieder werden sie ermordet, und die Bewohner der Erde freuen sich über ihren Tod, doch Gott wird sie wiedererwecken. Die Christen sind Mose- und Eliafiguren der Endzeit;  wenn sie zum Himmel Gottes aufsteigen, wird die Erde in Trauer erbeben, und die Endzeit ist nahegekommen. So werden „Mose“ und „Elia“ am Ende wiedergekommen sein.

 


 

Der Posaunenstoß des siebten Engels:

Der siebte Engel blies seine Posaune. Da ertönten laute Stimmen im Himmel, die riefen: Nun gehört die Herrschaft über die Welt unserem Herrn und seinem Gesalbten; und sie werden herrschen in alle Ewigkeit.
Offenb. 11, 15

 

Tafel 20:

Der Posaunenstoß des siebten Engels kündigt an, dass Gott seine Herrschaft über die ganze Welt ausdehnen wird. Die vierundzwanzig Ältesten, die vor Gott auf Thronen sitzen, huldigen ihm. Vom Buchmaler werden sie in acht Personen dargestellt mit Kronen auf den Häuptern. Sie ziehen  vor Gottes Thron und huldigen ihm.

Der siebte Posaunenstoß leitet die messianische Endzeit ein: Christus wird von der „apokalyptischen Frau“ geboren. Er wird zum Weltenrichter werden. Der „Drache“ tritt auf und bedroht ihn und die „Frau“. Wer ist dieser „Drache“, woher kommt er und warum kommt es zum Kampf?

Beim Schall der siebten Posaune zeigt sich die Lösung der Not der Schöpfung und der in ihr lebenden Menschen, es ist ein visionäres Hoffnungsbild : Die „apokalyptische Frau“, das Volk Gottes der Endzeit, erscheint am Himmel. Ihr gegenübergestellt wird die Mächtigkeit dämonischer Gewalten. Sie beide steigen in ihrer Gestalt und Ausprägung aus den Tiefen des Mythos empor : Helle Lichtgestalt, geschmückt mit den Insignien des Kosmos, die Leben gebiert,- und dunkle, zerstörerische Chaosgewalt stehen einander gegenüber.

In mythologischen Bildern wird erzählt über den Ursprung der dämonischen Mächte, die die Welt der Menschen bedrohen, „dämonische Drachen“, ausgestattet mit gottähnlichen Kräften. Sind sie vom Himmel gestürzte Engel? Hat das bedrohende Chaos personifizierte Gestalt angenommen?

 

 

 

 

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